Inhaltszusammenfassung:
Hintergrund: Das klinische Erscheinungsbild von COVID-19 weist ein bemerkenswert breites Spektrum an Symptomen auf. Obwohl Studien an erwachsenen Zwillingspaaren zu COVID-19-Verläufen bislang selten sind, wurde in aktuellen Untersuchungen zur Erforschung potenzieller Kandidatengene und Polymorphismen bereits betont, dass es eine genetische Komponente gibt, die mit den höchst unterschiedlichen klinischen Verläufen der Infektion in Verbindung steht. Weiterhin wurde im Verlauf der Pandemie immer deutlicher, dass die psychische Gesundheit nicht nur bei Menschen nach einer SARS CoV 2 Infektion beeinträchtigt ist, sondern auch bei Personen ohne bisherige Infektion. Bei dieser Dissertation handelt es sich um die erste Studie, die erwachsene MZ und DZ Zwillinge untersucht, die konkordant an COVID-19 erkrankt sind oder übereinstimmend bisher nicht erkrankt sind, um die Rolle von genetischen, gemeinsamen und individuellen Umwelteinflüssen auf die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu quantifizieren. Es soll die Frage beantwortet werden, welchen Anteil Gene, geteilte und nicht-geteilte Umweltkomponenten auf den klinischen Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion sowie die Anfälligkeit und Intensität einer Pandemie-assoziierten Fatigue haben.
Methoden: Es wurden 822 Zwillinge befragt und die Daten von 220 Zwillingen (60 MZ Paare, 50 DZ Paare) analysiert. Hierbei fanden der Barthel-Index, das MFI sowie ein selbst entwickelter Fragebogen Verwendung, der Fragen zu aktueller Größe und Gewicht, Rauchverhalten, einer früheren oder aktuellen SARS-CoV-2-Infektion und dem aktuellen Impfstatus enthielt. Aktuelle Beschwerden und physische Einschränkungen, die seit der SARS CoV 2 Infektion bestehen oder auf die Infektion zurückgeführt werden, wurden erhoben. Weiterhin sollten die psychische Beeinträchtigung durch die Infektion sowie durch die Pandemiemaßnahmen und der soziale Rückzug aufgrund der Angst vor einer SARS-CoV-2-Infektion bewertet werden. Zusätzlich wurden die bisher nicht-infizierten Teilnehmer nach einer Zunahme von Müdigkeit oder Erschöpfung seit der COVID-19-Pandemie befragt. Es wurden Intraklassen-Korrelationen berechnet und die Falconer-Formel wurde verwendet, um den Anteil genetischer Einflüsse sowie gemeinsamer Umwelt und persönlicher Erfahrungen auf die untersuchten Merkmale zu quantifizieren. Darüber hinaus wurden potenzielle Faktoren, die die Symptomschwere sowie das Auftreten und den Schweregrad pandemiebedingter Fatigue beeinflussen, untersucht und diskutiert.
Ergebnisse: 10 Paare waren konkordant bereits mit SARS-CoV-2 infiziert, 100 Paare waren konkordant bisher nicht infiziert. Diese beiden Gruppen wurden in den Berechnungen separat betrachtet: Innerhalb der bereits infizierten Paare zeigten die Berechnungen eine hohe geschätzte Heritabilität von h2 = 1,158 für die psychische Beeinträchtigung nach einer SARS-CoV-2-Infektion und für allgemeine Fatigue einen Wert von h2 = 1,258 (Rupp et al., 2022a). Auf die Symptomschwere scheinen die geteilte Umwelt (c2 = 1,498) und die individuelle Umwelt (e2 = 1,0) den stärksten Einfluss zu haben (Rupp et al., 2022a). Eine positive Korrelation fand sich zwischen Rauchverhalten, BMI, Impfstatus und der Symptomschwere der Probanden (Rupp et al., 2022a). Von den 100 bisher nicht erkrankten Zwillingspaaren berichteten 34,5% von einer Zunahme von Müdigkeit und Erschöpfung seit der Pandemie (Rupp et al., 2022b). Für alle Fatigue Dimensionen wurde die Heritabilität mit h2 = 0,32 bis h2 = 1,04 berechnet und die individuelle Umwelt mit e2 = 0,48 bis e2 = 0,84 als der größte Einfluss auf die Intensität der jeweiligen Dimension (Rupp et al., 2022b). Eine signifikant positive Korrelation fand sich zwischen körperlicher Fatigue und der Anzahl der Komorbiditäten sowie zwischen der psychischen Beeinträchtigung durch die Quarantänemaßnahmen und dem Gesamt-Fatigue-Score (Rupp et al., 2022b).
Schlussfolgerung: Gene sowie gemeinsame und individuelle Umweltfaktoren spielen in Bezug auf den klinischen Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion sowie die Anfälligkeit und Intensität einer Pandemie-assoziierten Fatigue eine deutliche Rolle. Ein großer Teil der genetischen Einflüsse ist bisher trotzdem noch ungeklärt und Wechselwirkungen zwischen Genen und Umwelt stellen immer noch einen Grund für Unterschiede zwischen Zwillingen dar. Die weitere Suche nach Kandidatengenen auf dem Weg zur personalisierten Medizin ist also von entscheidender Bedeutung. Weiterhin sollten zukünftig wirksame Präventions und Interventionsprogramme implementiert werden, um die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (und gegebenenfalls weiterer Pandemien) auf die Bevölkerung zu mildern.