Inhaltszusammenfassung:
Die Migräne stellt eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit dar
und betrifft etwa 15% der Weltbevölkerung. Demgegenüber ist die familiäre
hemiplegische Migräne als Unterform der Migräne mit Aura mit einer Prävalenz
von etwa 1:10.000 deutlich seltener. Sie stellt die einzig monogen vererbte Form
der Migräne dar und bislang konnten drei ursächliche Gene mit zahlreichen
möglichen Mutationen nachgewiesen werden. Die Mutationen führen auf
unterschiedliche Weise zu einer Kanalopathie. Bei der FHM1 und FHM2 konnte
mittels eines Mausmodells nachgewiesen werden, dass die jeweiligen
Kanalopathien auf jeweils unterschiedliche Weise zu einer erhöhten Aktivität von
Glutamat im synaptischen Spalt und hierüber zu einer erhöhten Suszeptibilität
gegenüber einer cortical spreading depression führen, welche als Korrelat einer
Migräneaura angesehen wird. Demgegenüber ist der Pathomechanismus hinter
der FHM3 weniger gut verstanden. Bekannt ist, dass bei der FHM3
unterschiedliche Mutationen auf dem SCN1A-Gen vorliegen können, welches für
einen spannungsgesteuerten Natriumionenkanal kodiert, der vorwiegend auf
inhibitorischen Interneuronen exprimiert wird. Die Mutationen führen hierbei zu
einem gain-of-function des Kanals.
Das Ziel dieser Arbeit war die Untersuchung der pathophysiologischen
Auswirkungen der L1649Q-Mutation des SCN1A-Gens in einem transgenen
knock-in Mausmodell der FHM3 auf Einzelzellebene und auf Netzwerkebene. In
einem ersten Schritt sollte untersucht werden, ob die Mutation überhaupt zu einer
erhöhten Suszeptibilität der Zellen gegenüber einer CSD führt. Hierzu wurde eine
CSD mittels einer KCl-Lösung in akuten Hirnschnitten ausgelöst, während die
Spannungsänderung einer entfernten Pyramidenzelle abgeleitet wurde. Hier
konnte nachgewiesen werden, dass es zwar eine Tendenz hin zu einer erhöhten
Suszeptibilität bei den mutierten Mäusen gegenüber den wildtypischen Mäusen
gab, dieser Unterschied jedoch nicht signifikant war. Ursächlich hierfür war am
ehesten die insgesamt geringe Fallzahl an generierten Zellen.
In einem zweiten Schritt untersuchten wir die Auswirkungen der Mutation auf die
spontanen inhibitorischen postsynaptischen Eingänge (sIPSC) einer
Pyramidenzelle. Hier konnte eine signifikante Erhöhung der Frequenz an sIPSC
bei den Mäusen mit der L1649Q-Mutation nachgewiesen werden, während die
Amplitude unbeeinträchtigt blieb. Dies spricht dafür, dass die inhibitorischen
Interneurone aufgrund der Mutation leichter aktiviert werden können, wogegen
die pro Aktionspotential ausgeschüttete Menge des Neurotransmitters GABA
hiervon unbeeinträchtigt bleibt.
In einer dritten Messung analysierten wir mittels Multielektrodenarray die
Auswirkungen der Mutation auf ein neuronales Netzwerk anhand von
hippocampalen Neuronenkulturen. Hier interessierten wir uns insbesondere für
das Auftreten von Populationsbursts und die mittlere Spitzenfeuerungsrate eines
Populationsbursts als mögliches Korrelat einer CSD. Hier konnten jedoch keine
signifikanten Unterschiede zwischen den wildtypischen und den heterozygoten
Neuronenkulturen nachgewiesen werden.
Zusammenfassend konnten wir nachweisen, dass die L1649Q-Mutation auf dem
SCN1A-Gen zu einer gesteigerten Aktivität von inhibitorischen Interneuronen
führt, ohne Einfluss auf die jeweils freigesetzte Menge an GABA zu nehmen.
Zudem konnten wir bei den heterozygoten Tieren eine Tendenz hin zu einer
erhöhten Suszeptibilität gegenüber einer CSD nachweisen. Unsere Hypothese
ist, dass die gesteigerte Aktivierung der inhibitorischen Interneurone zu einer
Elektrolytverschiebung hin zu einer erhöhten extrazellulären
Kaliumkonzentration führt, wodurch das Auftreten einer CSD begünstigt wird.