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Eine zentrale Aufgabe von Sportvereinen und -verbänden bildet die Auswahl von Kindern und Jugendlichen, welche das Potenzial besitzen, ihre Sportart im Erwachsenenalter auf Spitzenniveau zu betreiben. Insbesondere in Mannschaftssportarten, wie dem Basketball, stellt dies jedoch vor dem Hintergrund der komplexen Anforderungsstruktur des Spiels eine große Herausforderung dar. In der Regel treffen Trainer die Entscheidungen darüber, welche Spieler ausgewählt werden und damit Zugang zu weiteren Fördermaßnahmen erhalten und welche nicht. Dabei entscheiden sie vorrangig auf Basis ihrer subjektiven Eindrücke. Eine objektive Erfassung relevanter Talentmerkmale ermöglicht einerseits die Bestätigung der subjektiven Einschätzungen der Trainer im Auswahlprozess. Andererseits können die erhobenen Daten aber auch im Kontrast zu den Beurteilungen der Trainer stehen und dementsprechend zu einer Verbesserung der Talentprognose beitragen. Jedoch fehlen insbesondere im Kontext des Basketballsports empirische Befunde dazu, (a) welche Merkmale für die Einschätzung des Potenzials von Talenten relevant sind, (b) wie diese erfasst werden können und (c) welche Einflussfaktoren in diesem Zusammenhang möglicherweise eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund liegt der Schwerpunkt dieser Dissertation auf der Erfassung personbezogener Talentmerkmale im Nachwuchsbasketball. Ausgehend von einem adaptierten heuristischen Rahmenmodell, welches potenzielle personbezogene Prädiktoren eines Talents im Basketball und mögliche Einflussfaktoren strukturiert, werden in dieser Arbeit Diagnostiken aus unterschiedlichen Merkmalsbereichen evaluiert. Außerdem wird die Rolle des relativen Alters und der biologischen Reife als mögliche Einflussfaktoren der Talentauswahl untersucht.
In den Studien 1 und 2 wurden potenzielle Talentmerkmale in den Blick genommen, für die bislang keine evidenzbasierten Diagnostiken existieren. Im Zentrum von Studie 1 stand die Konzeption und Evaluation einer videobasierten Diagnostik der Entscheidungskompetenz im Nachwuchsbasketball. Im Rahmen der Evaluation dieser Diagnostik konnte unter Verwendung einer logistischen Regressionsanalyse zunächst anhand der Testergebnisse der Teilnehmer zwischen Jugendnationalspielern und Schülern einer Sportklasse differenziert werden. Außerdem konnte mithilfe multipler Regressionsanalysen ein positiver Zusammenhang zwischen den Testergebnissen der Jugendnationalspieler und ausgewählten Scoutingdaten (Assists und Turnover pro Spiel) nachgewiesen werden. Es zeigte sich jedoch kein Zusammenhang mit dem Assist-Turnover-Verhältnis. Darüber hinaus weisen die Ergebnisse innerhalb der Regressionsmodelle darauf hin, dass sich Spieler unterschiedlicher Leistungsniveaus besonders anhand der Antwortkorrektheit unterscheiden lassen, während Jugendnationalspieler, die in diesem Labortest schnellere Reaktionszeiten aufwiesen, auch mehr Assists und Turnover im Wettkampf erzielen. Die Ergebnisse der Studie bestätigen somit die diagnostische und externe Validität der Diagnostik und unterstützen damit deren Anwendbarkeit zur Erfassung der Entscheidungskompetenz im Nachwuchsbasketball.
In Studie 2 wurde ein ursprünglich für den Einsatz im Schulsport konzipiertes Beobachtungsinstrument zur Analyse von offensiven und defensiven Spielhandlungen im Basketball (Basketball Learning and Performance Assessment Instrument, BALPAI; Ibáñez et al., 2019) im Kontext des Nachwuchsleistungssports evaluiert. Im Rahmen dieser Evaluation konnte die Interrater-Reliabilität bei der Erfassung von leistungsbezogenen Variablen bestätigt werden, während die diagnostische Validität des Instruments nur für bestimmte Variablen nachgewiesen werden konnte. Bei der Analyse selektionsbezogener Unterschiede zeigte sich eine stärkere Eingebundenheit der selektierten Spieler in ballgebundene Aktionen sowie bessere Leistungen im Vergleich mit nicht-selektierten Spielern in den Bereichen Ballannahme und Wurf. Innerhalb der Positionsgruppen konnten dabei die stärksten Effekte bei Point Guards festgestellt werden. Darüber hinaus fanden sich positionsbezogene Unterschiede nur zwischen Point Guards und Spielern auf anderen Positionen im Hinblick auf die Eingebundenheit bei allen ballgebundenen Aktionen und speziell dem Passen und Dribbeln. Allerdings zeigten sich keine weiteren Unterschiede zwischen den anderen beiden Positionsgruppen. Bezugnehmend auf diese Ergebnisse ist das Instrument in der aktuellen Form nicht für den Einsatz im Kontext des Nachwuchsleistungssports geeignet.
In den Studien 3 und 4 lag der Schwerpunkt auf Diagnostiken, die in der Praxis regelmäßig zur Unterstützung der Trainer bei der Beurteilung der Leistung oder des Potenzials der Spieler in den jeweiligen Merkmalsbereichen eingesetzt werden. Studie 3 analysierte die Prognoserelevanz von im späten Jugendalter (Nachwuchs Basketball Bundesliga, NBBL, U19) erfassten Scoutingdaten für den Erfolg der Spieler im Erwachsenenalter. Der gruppenbezogene Vergleich von Spielern, die später eine professionelle Spielklasse erreichen, und solche, die später im Amateurbereich aktiv sind, zeigte mit Ausnahme von Fouls und Turnover Unterschiede bei allen untersuchten Merkmalen. Dabei konnten die beiden Gruppen insbesondere anhand der Gesamtleistung der Spieler (d. h. Effektivität) sowie der erzielten Punkte differenziert werden. Außerdem zeigte eine Varianzanalyse innerhalb der Gruppe der späteren Profis, dass Scoutingdaten und besonders die Effektivität zur Identifikation von Spielern mit internationalem Leistungsniveau im Erwachsenenalter herangezogen werden können, aber eine Differenzierung zwischen späteren Profis auf nationalem und regionalem Niveau nicht möglich ist. Aufgrund der Prognoserelevanz der Daten können sie den Trainern eine wertvolle Unterstützung im Rahmen von Talentauswahlprozessen bieten.
Studie 4 untersuchte selektionsbezogene Unterschiede im relativen Alter, bei reifebezogenen Merkmalen sowie in motorischen Leistungsparametern von Nachwuchsbasketballspielern auf unterschiedlichen Selektionsstufen. Im Hinblick auf den Einfluss des relativen Alters und der biologischen Reife auf die Talentauswahl stellte sich in einem ersten Schritt heraus, dass früh geborene und körperlich früh entwickelte Spieler in Auswahlprozessen auf regionaler Ebene bevorzugt ausgewählt wurden. In einem zweiten Schritt konnten im Rahmen der Selektion auf nationaler Ebene gruppenbezogene Unterschiede zwischen selektierten und nicht-selektierten Spielern in Bezug auf reifebezogene Variablen nachgewiesen werden, wobei sich reifebedingte Vorteile selektierter Spieler bestätigten. Allerdings wurden keine selektionsabhängigen Vorteile dieser Spieler hinsichtlich des relativen Alters festgestellt. In Bezug auf motorische Leistungsparameter waren selektierte Spieler gegenüber nicht-selektierten Spielern nur im Bereich der Sprungkraft überlegen. Bei der Berücksichtigung des relativen Alters sowie des biologischen Entwicklungsstandes konnten im Rahmen von logistischen Regressionsanalysen jedoch keine selektionsbezogenen Unterschiede in den Ergebnissen der untersuchten motorischen Tests festgestellt werden. Aufgrund der Erkenntnisse im Hinblick auf den Einfluss des relativen Alters und der biologischen Reife auf die Talentauswahl im Nachwuchsbasketball sollten die beiden Faktoren in diesem Kontext erfasst und berücksichtigt werden.
Zusammenfassend erweitert die vorliegende Dissertation den Forschungsstand zur Erfassung personbezogener Talentmerkmale im Nachwuchsbasketball sowie zur Rolle des relativen Alters und der biologischen Reife als Einflussfaktoren in diesem Kontext. Darüber hinaus bietet diese Arbeit Perspektiven für künftige wissenschaftliche Forschung und den Transfer in die Praxis. |
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