Inhaltszusammenfassung:
Die hier vorliegende Arbeit untersucht die Zellviabilität humaner Gingivafibroblasten (HGF) unter Einfluss von Antiresorptiva (AR) und zielgerichteten Krebstherapeutika (targeted cancer therapies, TCT) für die Behandlung ossärer Erkrankungen jeglicher Genese (Tumoren, Knochen-metastasen, Osteoporose und anderen Knochenstoffwechselkrankheiten). Die durch AR ausgelöste Kieferosteonekrose stellt eine schwerwiegende Nebenwirkung dar, die vornehmlich bei der Behandlung onkologischer Patienten auftreten kann. Neuartige Krebstherapien, wie Tyrosinkinase-, VEGF- oder mTOR-Inhibitoren tragen nach aktuellen Untersuchungen zur Entstehung der Kiefernekrose (ONJ) bei oder begünstigen deren Entwicklung, wobei vermehrt ein spontanes Auftreten der Nekrosen berichtet wurde.
Unsere Untersuchungen fokussieren die Fragestellung, ob die genannten Wirkstoffgruppen in Kombination mit AR auf orale Zellen ein additives Risiko für die Entwicklung oder die Ausprägung der ONJ darstellen. Um diese Fragestellung aufzuarbeiten, wurde in in-Vitro-Studien der Medikamenteneinfluss an HGF getestet und zudem orale Infektionsbedingungen und Therapiesituationen simuliert, indem diese zusätzlich Lipopolysacchariden (LPS) und THP-1-Zellen ausgesetzt wurden.
Zur Überwachung der adhärent wachsenden Zellen wurde das xCelligence® Real-Time Cell Analysis DP Instrument der Firma Roche und ACEA Biosciences genutzt, mit dessen Impedanz-basiertem System die Überlebenskurven der Zellen unter der Medikation in unterschiedlichen Konzentrationen gemessen wurden. Getestet wurden die Medikamente Zoledronat, Denosumab, Bevacizumab, Sunitinib, Sorafenib sowie Sirolimus.
Durch Zugabe von LPS und THP-1-Zellen wurden Stresssituationen für die HGF simuliert. Die Expression verschiedener Zytokine und Mediatoren, darunter IL-1β, IL-6, IL-8, TNF-α, OPG und RANKL, wurde mittels ELISA analysiert. Die Lebensfähigkeit der Zellen wurde mit LIVE/DEAD- und Hämalaun-Färbung kontrolliert.
Die Versuchsreihen mit dem xCelligence®-System ergaben unter hoher Konzentration von Bisphosphonaten (BP), Kombinationstherapien von AR sowie unter Kombinationstherapie von AR mit den TCT signifikant reduzierte Überlebensraten der HGF. Die Zugabe von LPS verstärkte den Abfall der Überlebenskurven und im Mini-Immunologie-Modell mit THP-1-Zellen zeigte sich bei allen medikamentösen Versuchsansätzen eine signifikant reduzierte Überlebensrate der HGF-Zellen (p<0.05). Die ausgewerteten histologischen Färbungen belegen die Toxizität der untersuchten Wirkstoffkombinationen, die zu zellmorphologischen Veränderungen der Fibroblasten, wie Pyknose des Zellkerns und einer Vermehrung der Nukleoli, sowie zu einer verringerten Zellzahl führen. Im simulierten indirekten Scratch kam es zu Anhaftungsstörungen der Fibroblasten und damit zu einer verringerten Überlebensrate der Zellen, insbesondere unter zusätzlichem LPS-Einfluss. Die untersuchten Wirkstoffkombinationen führen somit zu zellmorphologischen Veränderungen von HGF, in deren Folge eine verringerte Adhäsion und Migration auftreten und die letztlich zur Apoptose führen können. Dieser Effekt war bei simulierten oralen bakteriellen und infektiösen Bedingungen auch bei niedrigeren Medikamentenkonzentrationen signifikant. Die Zytokinbestimmungen ergaben ein uneinheitliches Bild, das zudem auf eine Immundysfunktion der Zellen unter Einfluss antiresorptiv-antiangiogener Medikamente hindeuten kann.
Diese in-vitro-Ergebnisse liefern erstmals Belege für eine erhöhte Weichgewebstoxizität unter Kombinationstherapie von AR und TCT, die einen Verlust der Weichgewebsintegrität bedingen können und damit auf ein additives Risiko der Entwicklung einer medikamenten-bedingten Kiefernekrose, auch ohne externe Stimuli, hinweisen. Außerdem konnte aufgezeigt werden, dass unter immunologisch-toxischen Stresssituationen, wie u.a. bei einer Parodontitis, diese Effekte noch verstärkt sein können.
In einem klinisch relevanten Kontext, insbesondere bei Kombinationstherapien von antiresorptiven Medikamenten mit VEGF- und TK-Inhibitoren, muss der Schwerpunkt auf Aufklärung, Prävention und Früherkennung liegen, um bestehende Infektionsherde, wenn möglich, vor Medikamentengabe therapieren zu können und um das Auftreten spontaner Kiefernekrosen durch engmaschige Kontrollintervalle frühzeitig erkennen und therapieren zu können.