Inhaltszusammenfassung:
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den zahlreichen Freilandfundstellen in Baden-Württemberg und der Frage nach der chronologischen Zuordnung von Oberflächenfundstellen sowie deren geographische Verteilung. Erste Funde gehen bis in das 17. Jahrhundert im Stuttgarter Raum zurück. Bis zur ersten Ausgrabung im Jahr 1866 durch Oscar Fraas an der Schussenquelle wurden um Stuttgart bereits altsteinzeitliche Fundstellen entdeckt, deren archäologische Bedeutung aber in den frühen Jahren verkannt wurde. Durch die Etablierung der Evolutionstheorie und der Existenz paläolithischer Menschen 3begannen neben der Schussenquelle weitere urgeschichtliche Untersuchungen in den Höhlen der Schwäbischen Alb und in Munzingen (Fraas 1867a; 1872; Steinmann 1906). Es ist bemerkenswert, dass die zwei bekanntesten Freilandfundstellen in Baden-Württemberg bereits im 19. Jahrhundert entdeckt wurden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgten z. B. Forschungen am Napoleonskopf (Paradeis 1907), dem Randecker Maar (Riek 1932), am Röthekopf (Gersbach 1925) und weiter Untersuchungen in Munzingen (Padtberg 1925). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Beiträge von Freising (1957; 1962), die Forschungen am Steinberg (Mauser 1974) sowie am Steinacker (Mähling 1978; Holdermann 1996) und später die neuen Untersuchungen am Randecker Maar und dessen Umgebung (Auffermann 1992; 1993; 1998) und im Federseegebiet (Eberhardt et al. 1987; Kind 1995; Jochim et al. 2015) zu nennen. Dazwischen sind immer wieder kurze Berichte von neuen Freilandfundstellen zu verzeichnen (z. B. Zürn 1951; Wagner 1986; Kind 1998). In den letzten Jahren wurde, veranlasst durch die Entdeckung der ersten aurignacienzeitlichen Freilandfundstelle in Baden-Württemberg, Königsbach-Stein (Floss/Poenicke 2006) ein Projekt zur Erforschung und Entdeckung neuer paläolithischer Freilandfundstellen initiiert. Im Zuge dessen wird mit diesem Werk ein umfassender Überblick über den derzeitigen Stand der Forschungen für das Jung- und Spätpaläolithikum geboten. Zudem erfolgt, soweit noch nicht geschehen, eine chronologische Einordnung neuer und alter Funde. Lag der Fokus bislang auf einer Hand voll Freilandfundstellen, soll hier ein Gesamtbild geboten werden, das über 100 Fundstellen umfasst. Die chronologische Zuordnung der Fundensembles und teils auch von Einzelfunden erfolgte durch typologische und technologische Kriterien sowie der Verwendung spezifischer Rohmaterialien.
Für das Aurignacien sind vereinzelte Freilandfundstellen auf der Schwäbischen Alb (Schürch 2018) sowie an der Enz und der Tauber zu verzeichnen (Floss/Poenicke 2006). Ein gehäuftes Vorkommen an Fundstellen stellt das Neckarbecken dar. Insbesondere dessen südlicher Rand erbrachte immer wieder Funde aus dem frühen JP, wie etwa aus Weinstadt, oder Bad Cannstatt. Allen Fundstellen gemeinsam ist die primäre Verwendung lokaler Rohmaterialien, wie sie auch im Gravettien zu beobachten ist. Neben Einzelfunden aus Schwieberdingen (Kind 2005), Leutkirch (Gehlen/Schön 2011), sind zwei bemerkenswerte Fundstellen aus dem Gravettien zu erwähnen. Zum einen Weinstadt-Endersbach (Zürn 1951), wo eine Radiokarbondatierung eines Mammutknochens, der mit Steinartefakten vergesellschaftet war, ein Alter von rund 29.000 Jahren calBP erbrachte. Zum anderen Feldberg-Steinacker, dessen Artefaktinventar typische Leitformen des Gravettiens aus lokalem Rohmaterial aufweist und Gegenstand längerer Forschungen ist (z. B. Mähling 1978; Holdermann 1996; Pasda 1998; Braun 2008; 2015; El Kassem et al. 2019; 2020).
Die Wiederbesiedlung in Baden-Württemberg ist nach dem glazialen Maximum zuerst mit Munzingen vor rund 18.000 Jahren belegt (Pasda 1994a). Die meisten Fundstellen liegen aus dem Spätglazial vor. Für das Magdalénien zeigen sich Konzentrationen am Nordwestrand der Schwäbischen Alb und entlang von Rems und Neckar sowie am Hoch- und Oberrhein. Von zentraler Bedeutung sind die Fundstellen aus Mundelsheim und Hohenhaslach, die beide im mittleren Neckarraum liegen und deren Inventare detailliert ausgewertet wurden. Eine größere Rolle spielt in Mundelsheim der lokale Muschelkalkhornstein und in Hohenhaslach der Import von Markgräfler Jurahornstein, wie er auch aus Götzenhain-Ost bekannt ist (Terberger et al. 2013). Diese Fundstellen sind dem Magdalénien zuzuordnen und führen zur hier beschriebenen Neckarroute. Verfestigt wird das Bewegungsmuster entlang des Neckars durch weitere Funde in Nürtingen (Beutelspacher et al. 2019) und am Napoleonskopf (Mauser 1976).
In dieser Arbeit konnte die Verbindung dieser Fundstellen zum Vorkommen von Tertiärem Hornstein vom Randecker Maar zum ersten Mal herausgestellt werden. Das Material liegt in vielen Freiland- und Höhlenfundstellen entlang der Schwäbischen Alb und des Neckars, insbesondere aus dem Magdalénien, vor (Auffermann 1998; Burkert/Floss 2006; Wettengl et al. 2019b). Am Nordrand der Schwäbischen Alb liegen mehrere Fundstellen aus dem Magdalénien, die durch die Verwendung von lokalem Jurahornstein und regionalem Keuperhornstein aus den Vorkommen nördlich der Rems charakterisiert sind. In Heubach-Sand (Wettengl 2016; 2019a) konnten Teile der Grundformenproduktion an lokalem Rohmaterial durch Zusammensetzungen rekonstruiert werden. In Waldstetten-Schlatt wurde von einem Amateurarchäologen eine Frauenfigur vom Typ Gönnersdorf in einer Fundkonzentration des Magdalénien entdeckt (Regen et al. 2019). Basierend auf den Untersuchungen der neuen Inventare konnte das Siedlungsgefüge im Magdalénien auf einen größeren Bereich in nord- und nordwestlicher Richtung erweitert werden.
Spätpaläolithische Fundstellen sind hauptsächlich aus dem Federseegebiet (Eberhardt et al. 1987; Kind 1995; Jochim et al. 2015) und dem Hoch- und Oberrhein bekannt (Pasda 1998). Zahlreiche Funde entlang der Rems und deren Umgebung sowie aus dem Backnanger Raum (Floss/Siegeris 2014; 2015) bieten einen neuen Einblick in die Ausbreitung des Spätpaläolithikums im Arbeitsgebiet. Weitere Funde aus Altensteig (Pasda 1994b), Schwaigern-Niederhofen (Rademacher 1994) und bei Baden-Baden (Gersbach 1951; Ikinger 1998) vervollständigen das Siedlungsmuster nach Westen hin. Bemerkenswert ist die Gemeinsamkeit der Fundstellen im Hinblick auf den Import von fränkischem Plattenhornstein, der beispielsweise auch in den spätpaläolithischen Horizonten des „Zigeunerfels“ (Taute 1972; Hornauer-Jahnke/Noack 2019) und am Federsee nachgewiesen ist.
Mit dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass im Arbeitsgebiet zahlreiche Freilandfundstellen vorliegen, denen eine chronologische Aussagekraft beizumessen ist und die vor allem für die Raumnutzung und Rohmaterialökonomie der jungpaläolithischen Menschen von Bedeutung sind. Das Neckarbecken stellt sich dabei als zentrales Siedlungsgebiet heraus, das durch mehrere Fundstellen mit Lössstratigraphien zwar erhaltungsbedingt bevorzugt ist, dadurch aber auch die beste Grundlage für weitere Forschungen darstellt.