Inhaltszusammenfassung:
Das PSD ist eine schwere akute Störung der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und des Bewusstseins. Innerhalb kurzer Zeit entwickeln sich die Symptome und fluktuieren im zeitlichen Verlauf. Circa 30 – 40 % der Patienten mit einem AIS entwickeln ein Delir. Die Symptome eines PSD treten dabei meistens innerhalb der ersten 72 Stunden nach Beginn eines Strokes auf. [71]
Validierung der ICDSC bei aphasischen Patienten
Zusammengefasst ist das PSD ein sehr häufiger Risikofaktor für einen verlängerten stationären Aufenthalt mit erhöhter Morbidität, Mortalität und schlechterem funktionellem Ergebnis für die Patienten mit AIS. Patienten mit einem AIS haben in 30% eine Aphasie. [67] Delir-Screening bei aphasischen Patienten stellt eine besondere Herausforderung dar, da die gängigen Methoden wie z.B. ICDSC oder CAM-ICU zu unterschiedlichen Anteilen Sprachverständnis und Sprachproduktion beurteilen. In dem Studienabschnitt zur Validierung der ICDSC bei aphasischen Patienten konnten wir erstmals zeigen, dass für ein effektives Delir-Screening mittels der ICDSC im Vergleich mit dem diagnostischen Goldstandard nach den DSM-V Delirkriterien für aphasische Patienten eine Anhebung des ICDSC Cut-off Wert auf ≥ 5 Punkte nötig ist. [75] Nach unseren Ergebnissen liegt ein Delir für nicht-aphasische Patienten bei einem ICDSC Cut-off Wert ≥ 4 Punkten vor. Bei aphasischen Patienten liegt ein Delir bei einem ICDSC Cut-off Wert ≥ 5 Punkten vor. Eine Aphasie wurde in unserer Studie mittels des NIHSS Item 9 „Language“ ≥ 1 Punkt definiert.
Die Resultate dieser Studie finden bereits in der aktuellen S2e Leitlinie der DGN und der DSG zur „Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls“ im Abschnitt PSD besondere Berücksichtigung. Es wird nun erstmals ein regelmäßiges gezieltes Screening aller AIS-Patienten auf Delirsymptome mittels einer validen und reliablen Methode wie der ICDSC oder CAM-ICU unter Berücksichtigung der Aphasie bei Verwendung der ICDSC empfohlen. [57] Nach unserer Kenntnis ist dies die erste Studie zur Untersuchung von Delir-Screening Möglichkeiten bei aphasischen Patienten. In weiteren Studien wurde anschließend das PSD charakterisiert und eine medikamentöse Prophylaxe mittels Melatonins untersucht.
Charakterisierung des PSD
Im Rahmen der Charakterisierung des PSD wurden Vorerkrankungen in der Tübinger SU Patientenkohorte identifiziert und bezüglich des Zusammenhangrisikos ein Delir nach AIS zu entwickeln untersucht. In der Literatur werden viele verschiedene Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs bei Intensivpatienten beschrieben. Zu den bekannten nicht beeinflussbaren Faktoren zählen beispielsweise hohes Alter und allgemein schwere Grunderkrankungen. Zu den beeinflussbaren Risikofaktoren zählen z.B. Alkoholexzesse und Mangelernährung. [12] Mengel et al. 2022 [72] konnten für das PSD ein höheres Lebensalter, einen schweren Schlaganfall (hohe NIHSS Werte) und schlaganfallbedingte Aphasie als weitere Risikofaktoren des PSD identifizieren. Ebenso konnte ein erhöhtes PSD-Risiko für einige Details im Behandlungsverlauf auf der SU gefunden werden. Dazu zählen Patienten mit einem Blasenkatheter, einer Infektion oder Schmerzen. Eine Verlängerung der PSD-Dauer konnte für alle identifizierten Risikofaktoren und zusätzlich für Patienten mit einem intravenösen Venenkatheter festgestellt werden.
In dieser Untersuchung zur Charakterisierung des PSD konnte insbesondere ein stark erhöhtes Risiko für eine vordiagnostizierte Demenz oder MCI im Einklang mit der Literatur gezeigt werden. [97] Weiterhin konnte erstmals eine vorbekannte Niereninsuffizienz als ein Risikofaktor für ein PSD identifiziert werden. Dieses Ergebnis steht dabei im Einklang mit anderen Arbeiten zum Delir bei ICU Patienten, jedoch konnte dieser Zusammenhang bisher nicht für ein PSD nachgewiesen werden. [99] Daher empfehlen wir weitere Studien zur Charakterisierung des PSD.
Prophylaktische Melatoningaben zur PSD-Prävention
Für die Prävention eines PSD stehen nicht-medikamentöse Maßnahmen, wie z.B. frühzeitige Mobilisation, Reorientierung und die Therapie möglicher auslösender Faktoren (Infektionen oder Schmerzen) im Vordergrund. [72, 121]
Für die leitliniengerechte Therapie eines PSD sollten zunächst alle nicht-medikamentösen Ansätze erschöpft werden. Dazu zählen stimulierende Maßnahmen tagsüber, wie z.B. frühe Mobilisation und Reorientierung mittels Sehhilfen, Hörgeräten, Kommunikation und Tageslicht, aber auch Schlaf-fördernde Maßnahmen zur Nacht, wie z.B. Licht- und Lärmreduktion, Angebot von Ohrstöpseln und Schlafbrillen. Erst danach sollte eine möglichst kurze und niedrigdosierte medikamentöse Therapie (z.B. mit Antipsychotika) durchgeführt werden. [57]
Für eine medikamentöse Prävention eines PSD gab es zum Zeitpunkt der Studienkonzeption, keine ausreichenden Untersuchungen. Mit dieser Studie zur PSD-Prävention mittels prophylaktischer Melatoningaben konnte erstmals ein geringeres Delirrisiko für AIS-Patienten in der Interventionsgruppe demonstriert werden. Weitere Untersuchungen und randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien sind zur Validierung des festgestellten Effekts erforderlich. [79] Nach einer prospektiven Validierung der Ergebnisse können diese praktische Auswirkung auf die klinischen Leitlinien zur AIS-Therapie haben. Die Demonstration hoher Prävalenzen von frühem PSD innerhalb der ersten 24 Stunden nach AIS unterstreicht die Bedeutung eines frühzeitigen Delirs Screening mittels validierter, etablierter Verfahren wie beispielsweise der nun auch für aphasische Patienten validierten ICDSC oder vergleichbaren Verfahren. [57, 75]
Da es keine Assoziation zwischen der Melatonin-Supplementierung und dem Beginn oder der Dauer des PSD gab, lässt dies ein therapeutisches Potenzial von Melatonin als präventiven Behandlungsansatz vermuten. Weniger geeignet scheinen Melatoningaben für die akute Therapie eines bereits aufgetretenen PSD. Verschiedene randomisierte und Placebo-kontrollierte Studien (RCT) zu Melatonin und Delir bei ICU Patienten stellten jedoch unterschiedliche Ergebnisse fest. Al-Ama et al. 2011 [29] konnten einen präventiven Effekt für die Inzidenz und Dauer eines Delirs feststellen. Wibrow et al. 2022 [112] konnten in ihrer Studie keinen Effekt auf die Inzidenz und Dauer bei ICU Patienten feststellen. Vor diesem Hintergrund erscheinen zusätzliche prospektive RCTs zur Validierung und Bewertung des in unserer Studie festgestellten präventiven Effekts von Melatonin bei einem PSD notwendig. [79]