Inhaltszusammenfassung:
Depressivität ist ein zentrales Thema bezüglich der geistigen Gesundheit und des Wohlbefindens und hat eine hohe Relevanz. Ältere Menschen stellen hierbei eine besonders wichtige Personengruppe mit einzigartigen Hürden und Schwierigkeiten dar, die das Auftreten einer Depressivität begünstigen können. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf ältere Probanden und den Zusammenhang von Depressivität mit Persönlichkeitsmerkmalen im Sinne der Big Five. Es wurde untersucht, inwieweit die Ausprägung der Persönlichkeitsmerkmale für das Auftreten einer Depressivität prädisponieren und welchen Einfluss eine vorliegende Depressivität auf die Persönlichkeit haben kann. Neben dieser zentralen Frage werden auch Geschlechterunterschiede in Prävalenz und Schwere einer Depressivität sowie in der Ausprägung der Persönlichkeitsdimensionen beleuchtet. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist die Einsamkeit. Diese wird auf Geschlechterunterschiede hin untersucht, sowie auf Einflussfaktoren und den Zusammenhang mit Persönlichkeit. Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht somit die Persönlichkeit und ihr Zusammenhang mit Depressivität und Einsamkeit.
Es wurden n= 914 ältere Probanden aus der TREND-Studie zu zwei Zeitpunkten untersucht. Von 897 Probanden entstammen die Daten aus dem zweiten Follow-Up der TREND-Studie 2013/2014 und von 17 Probanden aus dem dritten Follow-Up 2015/2016. Der zweite Erhebungszeitpunkt fand für alle Probanden je zwei Jahre später statt. Die Studienpopulation bestand aus 431 Frauen und 483 Männern. Für das Erfassen der Persönlichkeitsmerkmale wurde das BFI-10 verwendet, für eine eventuelle Depressivität das BDI-I und die GDS. Einsamkeitsgefühle wurden mit der Six-Item-Loneliness-Scale erfasst.
Bezüglich der geschlechtsspezifischen Unterschiede der Persönlichkeit konnte die bisherige Literatur größtenteils bestätigt werden. Frauen scheinen in allen Dimensionen, außer der Verträglichkeit, höhere Punktwerte zu erreichen als Männer. Gründe dafür können sozio-kulturelle Einflüsse sein; besonders die traditionellen Rollenvorstellungen, die in der hier verwendeten älteren Population eine Rolle spielen können. Trotzdem darf der Effekt der sozialen Erwünschtheit nicht außer Acht gelassen werden; Männer und Frauen könnten die Fragebögen so beantworten, wie sie denken, dass es für ihr Geschlecht akzeptabel ist. Der Effekt lässt sich mit reinen Selbstbeurteilungsfragebögen wie sie hier verwendet wurden nicht ausschließen.
Die Prävalenz von Depressivität deckte sich mit 19,4% mit der bisherigen Studienlage. Ebenso konnte eine erhöhte Prävalenz für Frauen identifiziert werden. Neben Gründen wie einer erhöhten weiblichen Grübelneigung kommen dafür auch Schwierigkeiten, die mit den Geschlechterrollen einhergehen, als Ursache in Frage. Jedoch muss beachtet werden, dass dieser Effekt nur ein scheinbarer sein kann, da eine depressive Stimmung oftmals nicht mit dem männlichen Selbstverständnis in Verbindung zu bringen ist, und Männer deshalb weniger von Depressivität berichten können. Eine erhöhte Vigilanz für männliche Depressivität leitet sich daraus ab, ebenso wie die Notwendigkeit objektivierbarer Fremdbeurteilungen in der Diagnosefindung.
Es wurde deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Depressivität gibt. Prämorbide scheinen besonders die Dimensionen der Extraversion, der Gewissenhaftigkeit und des Neurotizismus eine Rolle zu spielen. Eine erniedrigte Extraversion und Gewissenhaftigkeit und ein erhöhter Neurotizismus scheinen für das Vorliegen einer Depressivität zu prädisponieren. Gleichzeitig scheint eine vorliegende Depressivität zusätzlich die Offenheit und die Verträglichkeit zu erniedrigen. Die Aussagekraft der vorliegenden Untersuchung ist hierbei jedoch eingeschränkt, da die Persönlichkeitsmerkmale nicht mehrfach erhoben wurden, und die Größe der Probanden mit vorliegender Depressivität deutlich kleiner ausfiel als die Gruppe der Probanden ohne. Die Ergebnisse unterstützen die Theorie des Prädispositionsmodells in dem Sinne, dass Persönlichkeitsmerkmale zusammen mit Umgebungsfaktoren für das Auftreten einer Depressivität prädisponieren, da sie Betroffene vulnerabel machen. Die Ergebnisse zeigen, dass Betroffene vor dem Auftreten der Depressivität den sogenannten unsicheren Persönlichkeitstypus zeigen, der durch eine erniedrigte Extraversion und Gewissenhaftigkeit und einen erhöhten Neurotizismus gekennzeichnet ist. Dieser Typus zeichnet sich durch ungenügende Coping- Strategien und eine erhöhte Anfälligkeit für Stress aus, was wiederum das Entstehen einer Depressivität begünstigen kann.
Bezüglich der Einsamkeit wurde deutlich, dass Frauen emotional einsamer als Männer waren, jedoch nicht sozial. Dies kann daran liegen, dass Frauen vermehrt in sozialen Gruppen eingebunden sind und Zusammengehörigkeitsgefühle auch außerhalb der Partnerschaft empfinden, was protektiv gegen soziale Einsamkeit wirkt. Für die erhöhte emotionale Einsamkeit schien die Verwitwung der größte Grund zu sein. Auch nach einer länger zurückliegenden Trennung war die emotionale Einsamkeit immer noch sichtbar, was darauf hindeutet, dass Menschen länger brauchen könnten, um über eine Verwitwung hinwegzukommen, oder die emotionale Einsamkeit permanent bestehen bleibt. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigten sich jedoch nur mit einem schwachen Effekt und waren zu T2 nicht mehr nachweisbar, weswegen die Ergebnisse mit Vorsicht zu beurteilen sind. Haustiere schienen nicht protektiv gegen Einsamkeit zu wirken, die Hypothese konnte nicht bestätigt werden. Dies legt nahe, dass Haustiere keinen menschlichen Kontakt ersetzen können und nicht protektiv gegen Einsamkeit wirken. Jedoch hatte die Wohnsituation einen Einfluss, denn alleine lebende Probanden waren einsamer als Probanden, die in einer Gemeinschaft lebten. Einsamkeit scheint von vielen Faktoren abhängig zu sein und sollte in Zusammenschau aller interpretiert werden. Depressivität zeigte sich mit Einsamkeit positiv korreliert, jedoch war die Richtung dieses Zusammenhangs mit dem vorliegenden Studiendesign nicht erkennbar. Auch Persönlichkeitsmerkmale zeigten sich mit Einsamkeitswerten korreliert, der Neurotizismus hierbei als einzige Dimension positiv. Persönlichkeitsmerkmale scheinen auch auf Einsamkeitsgefühle einen Einfluss zu nehmen.
Für die klinische Praxis kann gefolgert werden, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und deren Ausprägung für das Entstehen einer Depressivität prädisponieren können, und dass Persönlichkeit durch eine depressive Episode verändert werden kann. Die Bedeutung der Persönlichkeitsdiagnostik wird somit unterstrichen. In der vorliegenden Untersuchung konnte jedoch keine definitive Diagnose der Depression gestellt werden, ebenso wurden lediglich Selbstbeurteilungsfragebögen verwendet, und die Persönlichkeitsmerkmale nur zu einem einzigen Zeitpunkt erhoben. In der weiteren Forschung sollten die Persönlichkeitsmerkmale zu allen Zeitpunkten erhoben werden, um Veränderungen besser beurteilen zu können. Ebenso ist eine Fremdbeurteilung unabdingbar.