Inhaltszusammenfassung:
Die DKG empfiehlt den von der Arbeitsgruppe „Familiärer Darmkrebs“ des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Bonn entwickelten fragebogenbasierten Risiko-Score zur Abgrenzung von Personen mit familiärem Darmkrebsrisiko zu verwenden. Er ist fester Bestandteil der Screening-Kaskade an deutschen Darmkrebszentren. Er dient der Erkennung von Patienten mit Verdacht auf Hereditäres Non-Polyposis Cancer Syndrom (HNPCC-Syndrom) beziehungsweise Lynch-Syndrom, welche einer genetischen Beratung zugeführt werden sollten.
In der vorliegenden monozentrischen Studie galt es, die Bedeutung des „Patientenfragebogen zum erblichen Darmkrebsrisiko“ als nicht-invasives, kostengünstiges Screening-Werkzeug für Betroffene und Angehörige betroffener Familien herauszuarbeiten und dabei mögliche Limitationen aufzuzeigen. Dafür wurden 100 (inklusive eines Dropouts) am Universitätsklinikum Tübingen behandelte Darmkrebspatienten ab Juni 2018 bis August 2019 im klinischen Setting rekrutiert. Zum Einsatz kamen zwei Versionen des Patientenfragebogens (Version A vor 18.07.2018 und Version B ab 18.07.2018) und ein Probandeninterview mit Fragenkatalog zur subjektiven Verständlichkeit des Patientenfragebogens. Die Fragebogenergebnisse Version A oder Version B wurden in ihrer Aussagekraft im Vergleich zu einer „Drei-Generationen-Stammbaumanalyse“ nach Amsterdam-II- und (revidierten) Bethesda-Kriterien bewertet.
Die Ergebnisse der Fragebogenversionen zeigen, dass eine humangenetische Beratung bzw. ärztliche Beratung in 37,4% (n=37) der Fälle empfohlen war. Die Stammbaumauswertung unter Berücksichtigung der revidierten Bethesda- und Amsterdam-II-Kriterien zeigte bei 31,3% (n=31) der Stammbäume Hinweise auf eine erbliche Form von Darmkrebs. In 67,7% (n=21) der Fälle bei Hinweisen auf familiäres Darmkrebsrisiko entsprach der Fragebogen den Stammbaumergebnissen. Für die unentdeckten 32,3% (n=10) wäre bei alleiniger Stützung auf den Patientenfragebogen bei vorliegendem Lynch-Syndrom die Konsequenz das Versäumnis der erforderlichen genetischen Beratung bzw. Bewertung und Abklärung mit den sich daraus eventuell ergebenden diagnostischen und therapeutischen Konsequenzen. Bei einem Probanden erwiesen sich die Amsterdam-II-Kriterien als zutreffend und eine Lynch-Syndrom Diagnose galt damit als klinisch erwiesen. Die immunhistochemischen Untersuchungsbefunde (IHC-Analyse) der MMR-Gen-Expression waren bei 5,1% (n=5) der Probanden auffällig. Nur 2 der 5 durch die vorliegenden IHC-Untersuchungsergebnisse (n=75) als auffällig erachteten Fälle wurden vom Patientenfragebogen und auch zugehörigem Stammbaum erkannt. Als Mehrinformation durch die Stammbaumerhebung fanden sich in 36,4% (n=36) der 99 Stammbäume Hinweise auf ein familiäres Tumorgeschehen verschiedenster Genese, 31-mal „HNPCC“, 4-mal „familiärer Brustkrebs“ und 3-mal „FAP“.
Beim Verständnis des Patientenfragebogens zeigte sich, dass 11,1% (n=11) der Probanden den Patientenfragebogen nicht komplett beantworteten und hierfür als Hauptgrund fehlendes Vorwissen zur Familienvorgeschichte angaben. Als subjektiv „schwierig“ empfanden nur 1 Teilnehmer (4,3%) Patientenfragebogen Version A (n=23) und 5 Teilnehmer (6,6%) den Patientenfragebogen Version B (n=76). Trotz Beantwortungsschwierigkeiten wurden lediglich 18,2% der Fragebögen mit familiärer Unterstützung ausgefüllt. Nie jedoch unter ärztlicher Betreuung.
Auf Basis der Studienergebnisse präsentiert sich der Patientenfragebogen als wertvolles Screening-Instrument zur Identifizierung des familiären Risikos für kolorektale Karzinome. Um das volle Potenzial des Patientenfragebogens auszuschöpfen, ist es ratsam, ihn mit ärztlicher oder professioneller Unterstützung einzusetzen und ihn in Zusammenschau mit ergänzenden, klinischen Befunden, wie der IHC-Analyse und Tumorhistologie zu bewerten.
Langzeitstudien sind erforderlich, um das diagnostische Potenzial und Bedeutung des Patientenfragebogens bei Verdacht auf familiäres Darmkrebsrisiko für die Indexperson und folgende Generationen zu untersuchen.