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Diese Arbeit befasst sich mit der Rolle des Kleinhirns bei der Kontrolle von schnellen und präzisen zielgerichteten Bewegungen. Es ist hinlänglich bekannt, dass solche Bewegungen durch Kleinhirnkrankheiten beeinträchtigt werden. In dieser Arbeit ging ich der Frage nach, ob die daraus resultierenden Bewegungsstörungen, die üblicherweise mit Begriffen wie Dysmetrie, Dysdiadochokinese oder Ataxie bezeichnet werden, Aufschluss über die funktionelle Rolle der Kleinhirnrinde geben könnten. Frühere Arbeiten deuten darauf hin, dass Bewegungsstörungen aufgrund von Kleinhirnerkrankungen das Ergebnis eines Verlusts interner Modelle der sensorischen Signale für die Bewegungsführung oder interner Modelle der Eigenschaften der motorischen Anlage sind, die von der Kleinhirnrinde eingesetzt werden. Ohne die Rolle des Kleinhirns bei der Bereitstellung geeigneter interner Modelle in Frage zu stellen, scheint die Ansicht, dass ein durch eine Kleinhirnkrankheit beeinträchtigtes internes Modell die Phänomenologie der Ataxie erklären könnte, nicht haltbar zu sein, wenn wir Ataxie als die Präsentation von Bewegungen verstehen, die durch eine Zunahme der Endpunktvariabilität gekennzeichnet sind. Alternativ könnte Ataxie als das Ergebnis der verlorenen Fähigkeit zur Begrenzung des Bewegungsrauschens verstanden werden. Um das Bewegungsrauschen zu reduzieren, sind Informationen über die Art des Rauschens erforderlich. Mit Blick auf den zufälligen Charakters des Rauschens hilft die Beobachtung von posthoc auftretenden motorischen Fehlern nicht dabei, zukünftige Fehler vorauszusagen und zu vermeiden. Frühere Arbeiten des Thier-Labors über die Kontrolle schneller Augenbewegungen (Sakkaden) ließen vermuten, dass das Rauschen, das die Endpunktpräzision von Sakkaden verschlechtert, das Ergebnis von Schwankungen der Bewegungsmotivation ist, die zu Schwankungen der Bewegungsgeschwindigkeit führen. Unter der Annahme, dass das Kleinhirn a priori Zugang zu Informationen über die aktuelle Bewegungsmotivation hat, könnte es die Dauer der Bewegung kompensatorisch anpassen. Eine Kleinhirnerkrankung würde die kompensatorische Anpassung der Bewegungsdauer beeinträchtigen und somit zu schwankenden Bewegungsendpunkten führen. Unter der Annahme einer
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festen Standard-Bewegungsdauer würden die daraus resultierenden Bewegungsfluktuationen zu einer Abfolge von zufällig über- und unterschießenden Bewegungen führen — ataktischen Bewegungen. In der vorliegenden Arbeit wurde versucht, diese Hypothese zu überprüfen, indem zielgerichtete Fingerbewegungen von gesunden Probanden und Kleinhirnpatienten betrachtet wurden.
Die getesteten Patienten litten an chronischen degenerativen Erkrankungen des Kleinhirns, meist Varianten einer genetisch bedingten spinozerebellären Ataxie und boten ganz überwiegend weder klinische noch neuroradiologische Hinweise auf relevante extrazerebelläre Veränderungen. Die Probanden wurden aufgefordert, mit präzisen Zeigefingerbewegungen um das Grundgelenk herum auf ein Ziel zu zeigen, das zwischen zwei Positionen auf der Vertikalen hin- und hersprang. Zur Aufzeichnung der Fingerbewegungen, die nur einige 100 ms dauerten, wurde die Magnetspulen-Technik verwendet. Das Ergebnis eines Kontrollexperiments, bei dem visuelle Rückmeldungen über die Fingerbewegungen weitgehend ausgeschaltet wurden, belegt, dass die Fingerbewegungen tatsächlich zu schnell waren, um von visuellen Informationen beeinflusst zu werden. Die Gesamtergebnisse stimmen mit der Hypothese überein, dass das Kleinhirn benötigt wird, um ein optimales Verhältnis zwischen Geschwindigkeit und Dauer der Bewegung zu gewährleisten. Sowohl gesunde Probanden als auch Kleinhirnpatienten weisen eine vergleichbare Variabilität ihrer Fingerbewegungen auf. Allerdings sind nur gesunde Probanden in der Lage, ihre Bewegungsdauer kompensatorisch anzupassen und so die Endpunktgenauigkeit zu gewährleisten.
Die gewonnenen Ergebnisse stehen somit in völliger Übereinstimmung mit der Ausgangshypothese, wonach das Kleinhirn die Treffsicherheit durch die Gewährleistung eines effizienten Abgleichs von Bewegungsgeschwindigkeit und -dauer sicherstellt. Patienten zeigen hingegen aufgrund des Fehlens eines suffizienten Geschwindigkeits-Dauer-Abgleichs eine vermehrte Variabilität der Bewegungsendpunkte — ataktische Bewegungen. |
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