Inhaltszusammenfassung:
Durch die stets steigende Lebenserwartung steigt auch die Anzahl an Erstimplantationen einer Kniegelenktotalendoprothese (Knie-TEP) und ist momentan auf hohem Niveau konstant. Ein bekanntes Problem nach Knie-TEP Implantation ist der ,,vordere Knieschmerz‘‘, dessen Ursache durch verschiedene funktionelle und strukturelle Einflussfaktoren bedingt ist. Ein struktureller Faktor ist der tatsächliche und der relative Patellatiefstand. Der tatsächliche Tiefstand, auch ,,True Patella infera‘‘ (TPI), kommt durch die Verkürzung der Patellasehne zustande. Ein Grund für den relativen Patellatiefstand, auch ,,Pseudo Patella infera‘‘ (PPI) genannt, kann hingegen eine Erhöhung der Gelenklinie durch ein knochensparendes Verfahren am Tibiaplateau oder vermehrte distale Femurresektion oder Einbringen eines besonders dicken Inlays sein. Ziel dieser retrospektiven Studie war es, den Einfluss einer Patellahöhenverminderung auf das klinische Outcome und die Patientenzufriedenheit zu analysieren.
Unter Berücksichtigung der Stärken und Schwächen der einzelnen Indices wurde das Konzept einer Analyse zur Bestimmung der Patellahöhe an lateralen Röntgenbildern entwickelt. Das Konzept beinhaltet zur Quantifizierung der Komponente einer echten Patella infera (TPI) den Insall-Salvati Index (ISI) und zur Bestimmung einer relativen Patellahöhenverminderung (PPI) den Caton-Deschamps Index (CDI). Die Grundlage bildete die Wiedervorstellung von Patienten, die 2015 an der BG Klinik Tübingen eine Erstimplantation erhalten haben. Durchschnittliches Follow-Up waren 60 Monate. Insgesamt wurden 92 Kniegelenke untersucht. Durchschnittsalter unseres Patientenkollektivs war 73 Jahre. Die klinische Nachuntersuchung beinhaltete eine ausführliche Anamnese, eine detaillierte Untersuchung des Kniegelenks und die Erhebung gängiger Scores zur Analyse der Patientenzufriedenheit. Zu den Knie-Scores zählten der Oxford Knee Score (OKS), der Knee Society Score (KSS), die Kujala Anterior Knee Pain Scale, ein modifizierter Lysholm-Score, der Tegner-Aktivitätsscore und zur Abfrage der allgemeinen Gesundheit der Short Form-36 Health Survey (SF-36).
Der ISI verringerte sich insgesamt vom präoperativen Zustand zur letzten Kontrolluntersuchung um 3,8% (p<0,001). Bei zwei Patienten (2,2%) wurde eine TPI festgestellt und konnte aufgrund der geringen Anzahl nicht statistisch verglichen werden. Der CDI verringerte sich vom präoperativen Zustand zur letzten Kontrolluntersuchung um 10% (p<0,001). Bei neun Patienten (9,8%) wurde eine PPI festgestellt. Bei 81 Patienten (88%) konnte postoperativ keine maßgebende Verringerung festgestellt werden, davon hatten elf (12%) einen erhöhten Patellastand. Verglichen wurde die Gruppe der PPI mit der Gruppe ohne Verringerung der Patellahöhe. Es zeigten sich keine Unterschiede der Gehstrecke oder hinsichtlich des Vorhandenseins von Gelenkergüssen, Rötung, Schwellung oder Überwärmung der Kniegelenke. Kraftgrade, Sensibilität und Durchblutung konnte in beiden Gruppen kongruent festgestellt werden. Bei der Patientenzufriedenheit gab es bei der Gruppe mit PPI keinen signifikanten Unterschied zur Vergleichsgruppe (p>0,05). Auch gab es bei Angaben der Schmerzen im Kniegelenk keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen. Bei klinischen Tests auf sagittale sowie mediolaterale Stabilität zeigte sich kein Unterschied. Die ROM zeigte keinen signifikanten Unterschied der Gruppen. In 62 (71,3%) Kniegelenken hat sich der ROM postoperativ gegenüber dem Zustand präoperativ verbessert (p<0,001). Statistisch konnte kein Zusammenhang zwischen ROM präoperativ oder postoperativ mit den Indices festgestellt werden (p>0,05). Es gibt hier keinen Hinweis auf Zusammenhang von ROM mit der Patellahöhe. Allerdings korreliert eine präoperativ geringe Kniebeugefähigkeit mit einer postoperativen Flexionseinschränkung (p=0,002).
Eine Erniedrigung der Patellahöhe ist ein typisches Verhalten nach Knie-TEP Implantation und zeigt sich auch in dieser Studie. Eine TPI kommt selten vor und korreliert laut Literatur häufig mit einem schlechteren klinischen Ergebnis, was diese Studie bei relativ geringer Patientenzahl nicht zeigte. Eine PPI ist häufig, zeigt aber keinen Effekt auf klinische Ergebnisse oder die Patientenzufriedenheit im Vergleich zu Patienten ohne Patellahöhenveränderung. Durch eine sorgfältige Planung der Operation können solche Veränderungen vermieden werden und sind vermutlich auch in dieser Studie Grund für den geringen Anteil an PPI von 9,8%. Ob ein postoperativ erniedrigter Index im Röntgenbild gemessen aber negative Auswirkungen auf die klinischen Ergebnisse hat, muss nach Kenntnis der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit angezweifelt werden. Die Rekonstruktion der anatomischen Gelenklinie sollte ein Ziel jeder Knieprothesenimplantation sein. Es scheint jedoch eine bestimmte Schwelle an akzeptabler Verringerung der Patellahöhe zu geben, bei der sich die klinischen Ergebnisse nicht verschlechtern. Daher rückt das nach wie vor gültige Prinzip der knochensparenden Operationstechnik wieder vermehrt in den Vordergrund.