Inhaltszusammenfassung:
Das Lernen mit Zeitzeug:innenberichten ist ein beliebtes Lernarrangement im Geschichtsunterricht (Henke-Bockschatz, 2007, 2014; Whitman, 2004). In ihm wird die Verschränkung von kognitiven und emotionalen Lernprozessen besonders sichtbar: Denn die persönlichen Geschichten erzählen nicht selten von persönlichen Herausforderungen und machen Orientierungs- und Identifikationsangebote. Allerdings zeigen empirische Studien, dass die persönlichen Geschichten die Gefahr bergen, Schüler:innen die Fehlvorstellung von Geschichte zu vermitteln, die Vergangenheit sei über eine einzige Perspektive zu verstehen (Ballis & Schwendemann, 2021; Bertram et al., 2017; Brüning, 2018; Hogervorst, 2020; Obens & Geißler-Jagodzinski, 2010; Richardson, 2021). Mit diesem Konflikt zwischen den Zielen des Geschichtsunterrichts und der Wirkung von Zeitzeug:innenberichten eröffnen sich zentrale Fragen zum Verständnis der Lernprozesse in diesem Lernarrangement. Zum Beispiel: Wie nehmen Lernende die Berichte wahr? Wie gestalten sich die Lernprozesse der Lernenden? Welche Rolle spielen dabei Emotionen?
Ziel der Dissertation ist es, durch die Integration der Perspektiven von Geschichtsdidaktik und Empirischer Bildungsforschung ein systematisches Verständnis für die Lernprozesse beim Lernen mit Zeitzeug:innenberichten zu bekommen und aus der interdisziplinären Perspektive Erkenntnisse für Geschichtsdidaktik und Empirische Bildungsforschung abzuleiten. Das Angebots-Nutzungs-Modell zur Beschreibung unterrichtlicher Wirkungsweisen (Helmke, 2017) dient in der vorliegenden Dissertation als Rahmenmodell. Die vier durchgeführten Studien (eine theoretische Studie und drei empirische Studien) fokussieren unterschiedliche Einflussfaktoren im Unterrichtsgeschehen und bieten somit umfangreiche Erkenntnisse zu den Lernprozessen beim Lernen mit Zeitzeug:innenberichten. Hervorzuheben sind insbesondere Ergebnisse, die Hinweise darauf liefern, dass Lernende Zeitzeug:innenberichte häufig in einem distanzlos-involvierten Modus der Verarbeitung rezipieren und dieser Verarbeitungsmodus einer kritisch distanzierten Verarbeitung im Wege steht. Die Dissertation leitet aus den Studien Beiträge für die Geschichtsdidaktik und die Empirische Bildungsforschung ab.