Inhaltszusammenfassung:
Fledermäuse haben bemerkenswerte Fähigkeiten. Sie sind die einzigen Säugetiere, die zum aktiven Flug fähig sind. Weiter verfügen sie über die Echoortung, mit der sie durch Aussendung von hochfrequenten Ortungslauten und Analyse der rückkehrenden Echos ihre Umgebung wahrnehmen. Durch diese Fähigkeit sind sie in der Lage, sich in völliger Dunkelheit zu orientieren, Beute und andere Objekte zu detektieren, zu lokalisieren und sogar zu charakterisieren. Für die erfolgreiche Nutzung dieser Fähigkeit spielt der Abstand zwischen den echoortenden Fledermäusen und umgebenden Strukturen eine entscheidende Rolle. Je nachdem, ob Fledermäuse weit weg von Hintergrundobjekten fliegen, wo es zu keiner Maskierung der Nutzechos von Beuteobjekten durch Störechos vom Hintergrund kommt (open space), sich in der Nähe von Objekten bewegen, wo die Fledermäuse ihre Ortungslaute anpassen, um eine Maskierung der Nutzechos durch Störechos zu vermeiden (edge space) oder sogar zwischen Hindernissen fliegen, in denen eine zeitliche Überlagerung von ausgesendeten Rufen und zurückkehrenden Nutz- und Störechos nicht vermieden werden kann (narrow space), senden sie speziell an diese drei grundlegend verschiedenen Habitattypen angepasste Ortungslaute aus. Im Lauf der Evolution haben sich verschiedene Jagdstrategien in Anpassung an die unterschiedlichen Habitattypen entwickelt, die gemeinsam die Grundlage für die Einteilung in sogenannte Gilden bilden. Eine dieser Gilden umfasst Fledermäuse, die im edge space fliegende Beute jagen und ihre Lautaussendungen dem jeweiligen Abstand zum Hintergrund anpassen (‚edge space aerial foragers‘). Um erfolgreich jagen zu können, ist es für Fledermäuse dieser Gilde unabdingbar, eine Maskierung der Beuteechos durch Hintergrundechos (backward masking) oder durch das ausgesendete Echoortungssignal (forward masking) zu vermeiden. Die Fledermäuse müssen passende Echoortungsrufe aus ihrem Lautrepertoire auswählen, die kurz genug sind und sich hinsichtlich ihrer Frequenzstruktur eignen, um eine Maskierung zu vermeiden und um Beuteinsekten und andere Objekte genau lokalisieren zu können. Das Flug- und Echoortungsverhalten von Fledermäusen im edge space wurde bereits an mehreren Arten untersucht, jedoch blieben einige Fragen bisher unbeantwortet. Mit einem Mikrofonarray, auf dem mehrere Empfänger in definierten Abständen und einer festgelegten Anordnung zueinander angebracht waren, wurden die Laute freifliegender Zwergfledermäuse (Pipistrellus pipistrellus) aufgenommen. Durch Kreuzkorrelation der Laufzeitunterschiede zwischen den verschiedenen Mikrofonaufnahmen wurden die räumlichen Positionen von individuellen Fledermäusen zu den Zeitpunkten ihrer Lautaussendungen berechnet. Dadurch war es möglich, Flugsituationen in Bezug auf den Abstand zwischen einzelnen Fledermäusen und Hintergrund sowie Interaktionen zwischen Fledermäusen mit deren inter-individuellen Abständen und Winkeln zu rekonstruieren und mit den in diesen Situationen ausgesendeten Lauten zu synchronisieren. Durch diesen methodischen Ansatz ist es gelungen, unser Wissen über das Echoortungsverhalten und Sozialverhalten von Zwergfledermäusen zu vertiefen und grundlegende Erkenntnisse über die Echoortung zu gewinnen.
Die vorliegende Arbeit besteht aus zwei Kapiteln. Sie knüpfen an meine Diplomarbeit an, in der ich mit der oben geschilderten Arraytechnik das Echoortungsverhalten von Zwergfledermäusen in räumlicher Nähe zu anderen Fledermäusen untersucht habe. Es hat sich gezeigt, dass fliegende Fledermäuse als bewegliche Objekte wahrgenommen werden und das Echoortungsverhalten in der gleichen Art in Abhängigkeit von der Distanz zu einem Objekt angepasst wird wie es bei unbeweglichen Objekten der Fall ist. Die Publikation dieser Studie wurde unter folgendem Titel veröffentlicht:
Götze, S. et al. No evidence for spectral jamming avoidance in echolocation behavior of foraging pipistrelle bats. Sci. Rep. 6, 30978; doi: 10.1038/srep30978 (2016).
Im Verlauf der Untersuchungen im Rahmen der Diplomarbeit entdeckten wir Ultraschallaute, die weder dem bisher bekannten Lautrepertoire noch dem Soziallautspektrum der Zwergfledermäuse zuzuordnen waren. Mit der fortgeschrittenen Methode der Arrayaufnahmen war es möglich, diese Laute eindeutig Zwergfledermäusen zuzuordnen und die Flugsituationen, in denen sie ausgesendet wurden, zu rekonstruieren. Es stellte sich heraus, dass Zwergfledermäuse zwei Typen von Soziallauten nutzen, um eine Futterquelle zu okkupieren und sie gegen Eindringlinge zu verteidigen. Die Studie über dieses Sozialverhalten ist bereits publiziert und bildet Kapitel 1 meiner Dissertation:
Götze, S., Denzinger, A. & Schnitzler, HU. High frequency social calls indicate food source defense in foraging Common pipistrelle bats. Sci Rep 10, 5764 (2020)
Das zweite Kapitel bildet das Manuskript ‚Pipistrellus pipistrellus foraging in edge space adjust flight and echolocation behavior to prevent masking of potential prey‘, das demnächst für die Veröffentlichung eingereicht werden soll.
Wie alle hier genannten Studien wurde auch diese Untersuchung mit freifliegenden, jagenden Zwergfledermäusen an Straßenlampen durchgeführt. In dieser Studie wurde die Grenze des äußeren edge space von Pipistrellus pipistrellus gemessen, wofür die Methodik der Flugwegsrekonstruktion und Zuordnung der Ortungslaute genutzt wurde. Anhand dieser Technik konnte genau bestimmt werden, ab welchem Abstand zu einer Straßenlampe und zum Boden sich die Lautparameter der Ortungslaute verändern. Die ab diesem Abstand stattfindende Verkürzung der Rufe dient dem Offenhalten eines akustischen Suchfensters, in dem nach Beute gesucht wird und in dem Beuteechos erwartet werden. Das Suchfenster würde sich bei längeren Rufen in Abhängigkeit von der Distanz zum Hintergrund schließen, wenn es zu einer zeitlichen Überlagerung zwischen ausgesendetem Ortungslaut und zurückkehrendem Beuteecho oder einer Überlagerung zwischen Beuteecho und Hintergrundecho kommen würde. Es wurde auch untersucht, ob es eine innere Grenze des edge space gibt. Tatsächlich gibt es einen von jagenden Fledermäusen nicht genutzten inneren Bereich (No-Forage-Area), in dem Zwergfledermäuse nicht mehr maskierungsfrei orten können, weil sich der ausgesendete Laut und das rückkehrende Hintergrundecho überlappen.