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Tinnitus ist eine pathologische auditive Wahrnehmung, die meist als ein Rauschen, Klingeln oder Piepen wahrgenommen wird. Trotz der hohen Prävalenz in der Bevölkerung ist noch keine kausale Therapie zur Behandlung des subjektiven Tinnitus verfügbar. Dies ist unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass das neuronale Korrelat von Tinnitus nach wie vor nicht verstanden ist und es signifikante Kontroversen gibt, welcher neuronale Mechanismus letztlich zum Entstehen von Tinnitus führt.
So vertritt nach wie vor die Mehrheit der Tinnitusstudien die Auffassung, dass die Entstehung von Tinnitus mit einer verstärkten zentralen neuronalen Aktivität („neural gain“) der Hörbahn erklärbar ist. Auf der anderen Seite gibt es jüngere Studien, die umgekehrt davon ausgehen, dass das molekulare Korrelat von Tinnitus eher mit einer reduzierten zentralen neuronalen Aktivität einhergehen könnte.
Studien, die eine reduzierte neuronale Aktivität als Korrelat von Tinnitus postulieren, gehen davon aus, dass diese durch eine reduzierte Funktion von schnellleitenden stärker myelinisierter Hörfasern im Innenohr erklärbar sein könnte. Eine Dysfunktion stärker myelinisierter Hörfasern könnte sich in einer Verringerung des Querschnitts des Hörnervs in der Cochlea widerspiegeln. Um diese Hypothese zu prüfen, wurde in der vorliegenden Studie mittels hochauflösender MR-Bildgebungsverfahren bei zehn Probanden mit Tinnitus und zehn gesunden Kontrollprobanden der Hörnerv dargestellt und vermessen.
Sowohl die Tinnitus- als auch die Kontrollprobanden zeigten vergleichbare Hörschwellen. Mittels einer modifizierten pTX-SPACE-Sequenz eines 3T MR-Gerätes konnten hochauflösende Aufnahmen des Hörnervs und weiterer Nervenstrukturen in anatomischer Nähe zum Hörnerv aufgenommen werden. Durch parasagittale Rekonstruktionen konnten, mit Hilfe eines spezifischen Auswertungsprogrammes des Universitätsklinikums Tübingen, die Nervenquerschnitte des N. Cochlearis, N. Facialis, N. Vestibularis und N. Vestibulocochlearis bei allen Probanden separat vermessen werden. Vor der Vermessung der Nervenquerschnitte wurde die jeweilige Gruppenzugehörigkeit (gesund oder an Tinnitus erkrankt) ausgeblendet. Es zeigte sich, dass die Nervenquerschnitte der untersuchten Strukturen zwischen dem linken und rechten Ohr bei den individuellen Personen mit Tinnitus und gesunden Probanden keine signifikanten Unterschiede aufweisen.
Bei einem direkten Vergleich der Personen mit Tinnitus mit den gesunden Probanden zeigten sich keine signifikanten Unterschiede bei der Betrachtung der mittleren Querschnittsfläche des N. Vestibulocochlearis, N. Facialis und N. Vestibularis zwischen den beiden Gruppen.
Interessanterweise wurde jedoch bei den Personen mit Tinnitus, verglichen mit den ge- sunden Probanden, eine signifikant kleinere mittlere Querschnittsfläche des N. Cochlearis deutlich. Darüber hinaus ergab sich bei der Gruppe der Tinnituspatienten, verglichen mit den gesunden Probanden, ein signifikant kleineres Größenverhältnis zwischen dem N. Cochlearis und dem N. Facialis, wodurch ebenfalls eine Abnahme der Querschnittsfläche des Hörnervs im Verhältnis zum Gesichtsnerv deutlich wird.
Insgesamt unterstreichen die Ergebnisse jedoch vor allem die Hypothese, dass Tinnitus mit einem Verlust von schnellleitenden stärker myelinisierten auditorischen Hörnervfasern einhergehen könnte und es dadurch zu einer Verminderung schneller auditorischer Prozessierung und Unterdrückung von internem Rauschen kommen kann.
Dieses Ergebnis zeigt erstmals, dass mit Hilfe eines modifizierten Messprotokolls der pTX-SPACE-Sequenz der Hörnerv und weitere Nervenstrukturen hochauflösend abgebildet und vermessen werden können, ein Verfahren, das für Hörerkrankungen verschiedener Ursachen in Zukunft nutzbar sein könnte |
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