Inhaltszusammenfassung:
Kortikospinale Neurone bewegen sich durch intrinsischen Membraneigenschaften in unterschiedlichen Exzitationslevels zwischen De- und Hyperpolarisation. Man geht davon aus, dass diese rhythmischen Fluktuationen des Membranpotenzials ein zeitliches Fenster generieren, in dem Neuronenpopulationen miteinander kommunizieren. Der markante Alpha-Rhythmus gilt dabei als maßgebend an der Modulation kortikaler Erregbarkeit beteiligt, indem sowohl die Power, als auch die Phase in Korrelation mit der Exzitabilität einer Neuronenpopulation stehen. Insbesondere durch zahlreiche Studien, die zeigen konnten, dass Erregbarkeit während der Tiefpunkte innerhalb einer Alpha-Phase am höchsten ist, wurde den Alpha-Oszillationen eine überwiegend inhibitorische Funktion zugesprochen (Ergenoglu et al 2004, Haegens et al 2011, Hussain et al 2018, Jensen et al 2012, Jensen & Mazaheri 2010, Klimesch et al 2007, Mathewson et al 2011, Sauseng et al 2009, Schalk 2015). Die Konzepte von Mazaheri und Jensen zur Gating-by-Inhibition oder „Pulsed Inhibition“ (Alpha-Aktivität als rhythmische Inhibition kortikaler Neuronenpopulationen mit Phasen abnehmender und zunehmender Inhibition) zur übergeordneten Inhibierung nicht-relevanter kortikaler Areale war hier in den letzten Jahren führend. Über den Zusammenhang zwischen Alpha-Power und -Phase in Bezug auf kortikale Erregbarkeit besteht jedoch Unklarheit und es entstanden eine Vielzahl an Hypothesen, die versuchen, diesen Aspekt zu vereinen (Fries 2015, Hussain et al 2018, Hussain et al 2019, Khademi et al 2018, Khademi et al 2019, Naros et al 2020, Schalk 2015, Stefanou et al 2018, Stolk et al 2019). Eine Hypothese von Schalk et al., 2015, lautete hierbei, dass kortikale Exzitabilität durch die relative oszillatorische Amplitude von Alpha-Oszillationen in Bezug zum Tiefpunkt moduliert wird. In dieser Studie untersuchten wir diese Hypothese im somatomotorischen System für die sensomotorische µ-Alpha-Oszillation anhand einer TMS-EEG-Studie. Die Studie wurde an gesunden Probanden im motorischen Ruhezustand durchgeführt mit einem Einzelpuls-Protokoll und einem inhibitorischen Doppelpulsprotokoll (SICI), kortikospinale Exzitabilität wurde anhand der Größe von MEPs der Handmuskeln gemessen. Unsere Eregbnisse zeigten, dass µ-Alpha im motorischen System nicht von einer inhibitorischen Komponente beeinflusst wird und als solche auch keinen inhibitorischen Effekt zeigt, sondern eine Fazilitierung kortikospinaler Exzitabilität bewirkt. Desweiteren zeigte sich, dass diese Fazilitierung zwar phasen- und auch powerabhängig ist, jedoch nicht amplitudenabhängig absolut auf den Tiefpunkt einer Oszillation bezogen werden kann. Unsere Ergebnisse unterstützen kürzlich gewonnene Erkenntnisse in Zusammenführung der Power- und Phasenaspekte (Hussain et al 2018, Stefanou et al 2018, Thies et al 2018), insbesondere das von Hussain 2018 vorgeschlagenen Konzept, dass durch eine hohe µ-Alpha-Power die phasenabhängige Modulierbarkeit kortikospinaler Exzitabilität im motorischen System wird. In Zusammenschau der Ergebnisse postulieren wir somit als erste Studie auf dem Gebiet der Netzwerkforschung im motorischen System die µ-Alpha-Oszillation als rhythmische Fazilitierung bzw. – als Pendant zur Pulsed Inhibition-Hypothese – als „Pulsed Facilitation“ kortikospinaler Erregbarkeit.
In Bezug auf Erkenntnisse der klinischen Forschung, in denen kürzlich gezeigt werden konnte, dass erhöhte Alpha-Aktivität im geschädigten motorischen Areal von Schlaganfall-Patienten mit einem besseren Rehabilitationspotenzial einhergeht (Tremblay et al 2019), deuten unsere Ergebnisse daraufhin, dass TMS-evozierte µ-Alpha-Aktivität in der Behandlung von Schlaganfallpatienten als neurophysiologischer Biomarker für eine effiziente und individualisierte Rehabilitation eingesetzt werden könnte.