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http://hdl.handle.net/10900/119753
Unterricht wird in der empirischen Unterrichtsforschung als ein komplexes Wirkungsgefüge verstanden, das von unterschiedlichen Faktoren wie der Expertise und Persönlichkeit der Lehrkraft, von Kontextmerkmalen, aber auch von individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler beeinflusst wird (Helmke, 2017). Damit ist Unterricht ein interaktives Geschehen, das von der Lehrkraft gesteuert und gelenkt wird, jedoch durch die Schülerinnen und Schüler aktiv mitgestaltet wird (Klieme, 2019). Ein wesentliches Merkmal für das Erreichen von Lernzielen der Schülerinnen und Schüler stellt die Unterrichtsqualität dar. In den vergangenen Jahren hat sich besonders in der deutschsprachigen Forschungslandschaft das „Rahmenmodell der drei Basisdimensionen der Unterrichtsqualität“ (Klieme et al., 2001) etabliert, das Unterrichtsqualität durch die drei Dimensionen Klassenführung, konstruktive Unterstützung und kognitive Aktivierung abbildet. Diese Dimensionen sind mittlerweile Grundlage vieler Unterrichtsstudien und haben sich vielfach als relevant für verschiedene Zielkriterien des Unterrichts gezeigt (Göllner et al., 2018; Kunter et al., 2013; Wagner et al., 2013, 2016). Eine zentrale Herausforderung bei der Identifikation von lernförderlichen Merkmalen des Unterrichts ist jedoch eine reliable und valide Erfassung der Unterrichtsqualität. Hierfür sind Schülerurteile eine kostengünstige, effektive und niederschwellige Möglichkeit, um die Unterrichtsqualität aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler zu erfassen. Die Eignung von Schülerurteilen zur Erfassung von Unterrichtsqualität konnte in der bisherigen Forschung in vielerlei Hinsicht belegt werden (Fauth et al., 2014; Kuhfeld, 2017; Wagner et al., 2013). Dennoch sind im Hinblick auf die Nutzung von Schülerurteilen in Forschung und Praxis noch wichtige Fragen offen. Drei dieser Fragen wurden in der vorliegenden Dissertation in empirischen Studien adressiert, um so einen Beitrag zur verlässlichen Nutzung von Schülerurteilen zu leisten.
Studie 1 (Digital teaching during the COVID-19 crisis: Social connectedness matters most for teaching quality and students’ learning) beschäftigte sich erstmals mit der Frage, ob Schülerurteile auch für den Distanzunterricht eine geeignete Methode zur Erfassung von Unterrichtsqualität sind. Während die Nutzung von Schülerurteilen im Präsenzunterricht in der Vergangenheit vielfach erforscht wurde, konnte dieser Frage durch die Schulschließungen aufgrund der COVID-19-Pandemie erstmals auch für den Distanzunterricht nachgegangen werden. Hierfür wurden Daten einer Onlinestudie genutzt, in welcher im Frühsommer 2020 die konkrete Umsetzung des Distanzunterrichts, Subdimensionen der Unterrichtsqualität sowie verschiedene Zielkriterien des Unterrichts aus Schülersicht erfasst wurden. Die Ergebnisse ermöglichten nicht nur wertvolle Einblicke in das Unterrichtsgeschehen während der Schulschließungen, sondern zeigten zudem, dass Schülerurteile auch für den Distanzunterricht eine geeignete Methode zur Erfassung von Unterrichtsqualität sind. Die Urteile von Schülerinnen und Schülern zur Unterrichtsqualität waren zudem mit Zielkriterien des Unterrichts assoziiert.
In Studie 2 („The teacher motivates us – or me?” – The role of the addressee in student ratings of teacher support) wurde die Rolle der Itemformulierung zur Erfassung von Unterrichtsqualität näher betrachtet. Items unterscheiden sich häufig darin, ob sie sich auf die individuelle Sicht der Schülerinnen und Schüler beziehen (Ich-Adressat) oder auf die Sicht der gesamten Klasse (Wir-Adressat). Möglichen Unterschieden in den psychometrischen Eigenschaften beider Versionen wurde jedoch in der bisherigen Forschung kaum Beachtung geschenkt. Eine experimentelle Variation des Item-Adressaten in Subdimensionen der konstruktiven Unterstützung ermöglichte es zu untersuchten, ob sich die theoretischen Unterschiede zwischen einem Ich-Adressaten und einem Wir-Adressaten in den psychometrischen Eigenschaften der Schülerurteile niederschlagen. Die Ergebnisse zeigten, dass Items mit einem Wir-Adressaten zu leicht höheren Mittelwerten, ICCs und Interkorrelationen unterschiedlicher Subdimensionen bei gleichem Adressaten auf Klassenebene führten. Jedoch zeigten sich höhere Zusammenhänge für Zielkriterien des Unterrichts auf Schülerebene, wenn Items mit einem Ich-Adressaten verwendet wurden. Auch wenn die gefundenen Unterschiede relativ klein sind, verdeutlicht diese Studie die Relevanz des Item-Adressaten für die Erfassung von Unterrichtsqualität durch Schülerurteile.
Studie 3 (How students’ perceptions of teaching quality in one subject are impacted by the grades they receive in another subject – Dimensional comparisons in student evaluations of teaching quality) ging schließlich der Frage nach, welche Bedeutung die Note für Schülerurteile zur Erfassung der Unterrichtsqualität hat. Speziell wurde untersucht, ob Schülerurteile zur Erfassung von Unterrichtsqualität eines Faches (z. B. Deutsch) durch die Note eines anderen Faches (z. B. Mathematik) beeinflusst sind. Die Ergebnisse zeigten auf Schüler- und auf Klassenebene positive Zusammenhänge zwischen der Note und den Schülerurteilen zur Unterrichtsqualität innerhalb eines Faches sowie negative Zusammenhänge zwischen den Fächern. Dies bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler die Unterrichtsqualität desjenigen Faches, in dem sie die bessere (schlechtere) Note erhalten haben, relativ betrachtet aufwerten (abwerten). Schülerurteile eines Faches können somit durch Merkmale beeinflusst sein, die unabhängig von der zu beurteilenden Unterrichtsqualität des jeweiligen Faches sind.
Die Ergebnisse der Studien dieser Dissertation tragen zur verlässlichen Nutzung von Schülerurteilen in Forschung und Praxis bei. Es zeigte sich, dass Schülerurteile sowohl für den Präsenzunterricht als auch für den Distanzunterricht eine geeignete Methode zur Erfassung von Unterrichtsqualität sind. Zudem wurde die Relevanz des Item-Adressaten deutlich, der sich in kleinen, aber systematischen Unterschieden in den psychometrischen Eigenschaften der Schülerurteile widerspiegelte. Schließlich zeigte sich, dass die Nutzung von Schülerurteilen auch mit Grenzen einhergeht, insbesondere dann, wenn Schülerinnen und Schüler zur Unterrichtsqualität in zwei Fächern befragt werden.