Inhaltszusammenfassung:
Seit Beginn der Massenproduktion von synthetischen Polymeren oder Kunststoffen, umgangssprachlich als Plastik bezeichnet, akkumuliert deren Abfall in der aquatischen Umwelt. Durch kontinuierliche Fragmentierung von Makroabfällen sind manche aquatischen Ökosysteme heute zu einer Suppe aus mikro- bis nanoskaligen Partikeln geworden, deren Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Umwelt wir bisher nur schwer abschätzen können. Erst seit weniger als einem Jahrzehnt untersuchen Wissenschaftler*innen die Auswirkungen solcher Partikel hauptsächlich in Labortestsystemen. Verwitterungsprozesse, wie bspw. durch UV-Licht induziertem Photoabbau, können Materialeigenschaften und damit das Verhalten von Kunststoffen in der Umwelt verändern. Diese relevanten Änderungen im physikalischen Verhalten von Kunststoff(partikeln) durch Verwitterung finden in gängigen ökotoxikologischen Expositionsszenarien oft keine Berücksichtigung.
Den Rahmen dieser Arbeit bildete das Projekt WEATHER MIC. Innerhalb eines Konsortiums von WissenschaftlerInnen verschiedener Fachgebiete priorisierten wir Forschungsfragen zu tieferem Verständnis der abiotischen und biotischen Verwitterungsprozesse, die auf aquatischen Kunststoffmüll einwirken, zur Relevanz dieser Prozesse für den Verbleib und die Effekte des Umweltkunststoffes und zur Anpassung derzeitig begrenzter Testbedingungen im Labor (Publikation I, Publikation II).
Obwohl gewollt zugesetzte Chemikalien (z.B. Additive) in Polymeren seit langem Anlass zur Besorgnis geben, ist bisher wenig darüber bekannt, ob Substanzen, die während der abiotischen Verwitterung (z.B. durch Photoabbau) aus additiv-freiem Mikroplastik freigesetzt werden können, von ökotoxikologischer Bedeutung sind, z.B. indem sie relevante zelluläre Signalwege und Stressreaktionen induzieren. Daher wurden wässrige Laugungsprodukte von vier UV-verwitterten Testpolymeren Polyethylen (PE), Polyethylenterephthalat (PET), Polystyrol (PS) und Polypropylen (PP) aufkonzentriert und in zellbasierte Reportergen- und Mikroalgen-Biotests dosiert (Publikation III, Manuskript I). Laugungsprodukte aller Mikroplastiksorten induzierten oxidative Stressantworten mit erhöhtem Effektpotential bei UV-verwitterten Proben. PE-Laugungsprodukte aktivierten darüber hinaus spezifisch den Peroxisom-Proliferator-aktivierten Rezeptor γ (PPARγ). Unter Anwendung eines Mischungsmodells (Eisbergmodellierung) und effektdiagnostischer Bewertung konnte ich über 40 % des beobachteten biologischen Effektes in PPARγ durch einen hohen gemessenen Gehalt an Alkankarbonsäuren erklären, welche als Abbauprodukte aus dem verwitterndem Polymer stammten. Die überwiegend unspezifische Toxizität der untersuchten Kunststofflaugungsprodukte ging mit geringer Photosynthesehemmung in der Mikroalge Scenedesmus vacuolatus einher. Berechnete Werte für die Basis-Toxizität stimmten gut mit den gemessenen apikalen Wachstumsendpunkten für die Alkankarbonsäuren in den Mikroalgen überein und die aus den Mikroalgen abgeleiteten Effektkonzentrationen korrelierten statistisch signifikant mit den Ergebnissen aus den Reportergen-Biotests.
Biotische Verwitterungsprozesse beginnen mit der Bildung eines oberflächlichen Biofilms, der den Verbleib und Auswirkungen von Umweltplastik verändert (Publikation IV). Als wahrscheinlich erste und längste biologische Interaktion mit Umweltplastik ist es von größter Bedeutung, die Entwicklung, Struktur und Funktion von epiplastischen mikrobiellen Artengemeinschaften zu verstehen und ihre ökologische Relevanz zu bewerten. Bevor sich Mikroorganismen auf neuen (Kunststoff ) Substraten ansiedeln, bildet sich zunächst eine dünne Schicht aus organischem Material (OM), ein so genannter Konditionierungsfilm. Dieser hat potenzielle Auswirkungen auf die spätere Besiedlung. Mittels Fourier-Transformations-Ionenzyklotronresonanz-Massenspektrometrie (FT-ICR MS) überprüfte ich die Hypothese der Bildung von materialspezifischen Konditionierungsfilmen auf Kunststoffoberflächen und bewertete deren Relevanz für das nachfolgende Biofilmwachstum. Ich konnte in meiner Arbeit zeigen, dass OM auf den untersuchten Substraten Glas, PET und PS selektiv adsorbiert wurde. Unterschiede im Konditionierungsfilm waren auch zwischen vorverwitterten und dunklen Kontrollproben der jeweiligen Substrattypen nachweisbar. Nach der Adsorption dieser ersten OM-Schicht änderten sich die Materialoberflächeneigenschaften wie z. B. die Hydrophobie der Oberflächen. Bemerkenswert ist, dass die materialspezifischen Konditionierungsfilme die Materialeigenschaften nicht vollständig maskierten, sondern die zugrunde liegenden Oberflächeneigenschaften bis zur äußeren Organik-Wasser-Grenzfläche erhalten blieben (Manuskript II). Dieser Sachverhalt lieferte eine mögliche Erklärung für unsere Beobachtungen von anschließender materialspezifischer Anlagerung von Mikroorganismen in den ersten Kolonisierungstagen. Mit zunehmendem Alter des Biofilms verringerten sich strukturelle und funktionelle Unterschiede zwischen verschiedenen Testmaterialien und die taxonomische Zusammensetzung der verschiedenen Substrate konvergierte zu gleichen Artengemeinschaften (Manuscript III).
In den vorgestellten ökotoxikologischen und mikrobiellen Untersuchungen konnte ich zeigen, dass abiotische und biotische Verwitterungsprozesse persistenter Kunststoffe Auswirkungen auf dessen Verbleib und Effekte haben. Materialspezifische Erkenntnisse über Adsorption von OM und Biofilm-Sukzession sollten uns veranlassen, wissenschaftliche Studien zu Plastik-Biofilmen in größeren zeitlichen Rahmen und Kontext zu setzen. Meine Ergebnisse, dass Polymerlaugungsprodukte aus Verwitterungssimulationen bestimmte zelluläre Genantworten und Stressreaktionen aktivierten sowie Algentoxizität induzierte, sollte uns dazu veranlassen die derzeitige Ausnahme von Polymeren von der REACH-Verordnung zur Registrierung und Bewertung erneut zu verhandeln, da das Material nicht länger als „inert“ gelten kann.
Meine Arbeiten erweitern unser Verständnis zur Freisetzung von Substanzen während des Photo-abbaus von Kunststoffen und über biologische Eigenschaften von Kunststoffoberflächen während der frühen mikrobiellen Besiedlungsphase. Zukünftige Studien sollten die Relevanz dieser Verwitterungsprozessen auf die Validierung und Verlässlichkeit von Kunststoffteststrategien anerkennen, um so die Gesundheit von Mensch und Umwelt zu gewährleisten.
Abstract:
Since the beginning of mass production of synthetic polymers, also referred to as plastic, the resulting litter has accumulated in the aquatic environment. As a result of continuous fragmentation of macro debris, this plastic litter has become a soup of micro- to nano-sized particles with currently unknown impact for human and environmental health. For less than a decade, researchers have been investigating the effects of such particles mainly in laboratory test systems. Weathering processes like UV light-induced photo-degradation have the potential to change material properties and thereby the relevant physical behavior of the synthetic material. Such modulating effects are often disregarded in common ecotoxicological exposure scenarios.
The framework of this thesis was the WEATHER MIC project. Within a consortium of researchers from different scientific disciplines, we prioritized research needs for an improved understanding of abiotic and biotic weathering processes acting on aquatic plastic debris, the relevance of those processes for changing the plastic’s fate and impact and to overcome currently limited test conditions in the laboratory (Publication I, Publication II).
Although intentionally added chemicals (e.g., additives) in polymers have been of concern for long, it remained unknown if substances liberated from additive-free microplastics during abiotic weathering (such as photo-degradation) are of ecotoxicological relevance, e.g., by inducing cellular toxicity pathways and stress responses. Therefore, I prepared leachate waters from four UV-weathered polymers, polyethylene (PE), polyethylene terephthalate (PET), polystyrene (PS) and polypropylene (PP), concentrated and dosed them in reporter gene and microalgae assays (Publication III, Manuscript I). Leachates from all tested microplastics induced oxidative stress responses with elevated activation for the UV-weathered leachates. PE leachates contained diverse alkyl carboxylic acids stemming from the degrading polymer, which explained over 40% of the observed activation of the Peroxisome Proliferation Activated Receptor γ (PPARγ) as evidenced by mixture effect modelling. The investigated plastic leachates had only effects on growth inhibition in the microalgae Scenedesmus vacuolatus with low potency for photosystem inhibition. Effect concentrations derived from the growth inhibition of microalgae showed the similar patterns across all leachates and correlated significantly with those from the reporter gene assays. The weathered PE leachates showed higher activity, which could also be caused by the carboxylic acids, given that their algal toxicity also agreed well with predicted baseline toxicity.
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Biotic weathering processes start with the formation of a superficial biofilm that changes the fate and effects of plastic debris (Publication IV). As this process represents probably the first and longest biological interaction with environmental plastic, it is of utmost importance to understand the development, structure and function of epiplastic microbial communities and their ecological relevance. Before microbes attach to new habitable (plastic) substrates a thin layer of organic matter (OM), a so-called conditioning film, adsorbs to the substrate surface which has implications for subsequent colonization.
By the means of Fourier-transform ion cyclotron resonance mass spectrometry (FT-ICR MS) I tested the hypothesis of material-specific conditioning films on plastic surfaces as well as its relevance for subsequent biofilm formation. I demonstrated that the investigated substrates glass, PET and PS showed selective adsorption patterns towards OM. Differences in the OM fingerprint were also detectable between pre-weathered and dark control polymeric substrates. After the adsorption of this first OM layer the material surface properties, such as the surface hydrophobicity, changed. Noteworthy, the material-specific conditioning films did not entirely mask the material properties but preserved the underlying surface characteristics to the outer organic matter-water interface (Manuscript II). These observations provided a potential explanation for subsequent material-specific attachment by microbes during the first days of early colonization phase. As the biofilms matured, taxonomic, structural and functional differences disappeared and the communities on different substrates converged to highly similar communities (Manuscript III)
In my presented ecotoxicological and microbial studies, I demonstrated that weathering of the persistent plastic material has impacts on its fate and effects. Material-specific implications of OM adsorption and biofilm succession demonstrated that experiments and results have to be set into the context of larger time frames. The fact that polymer leachates generated under accelerated weathering conditions activated certain cellular gene pathways and caused algae toxicity should prompt us to reconsider critically the current exemption of polymers from the REACH registration and evaluation since the material can no longer be regarded as “inert”.
This thesis advances our understanding of chemical leaching during polymer photo-degradation and the biological features that plastic surfaces display during the early microbial colonization phase. Future studies should acknowledge the relevance of weathering processes for the interpretation and robustness of effect assessments of plastics in order to ensure human and environmental safety.