Die Rolle des parietalen Kortex bei der Wahrnehmung der eigenen Bewegungen

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Zitierfähiger Link (URI): http://hdl.handle.net/10900/112239
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-dspace-1122393
http://dx.doi.org/10.15496/publikation-53615
Dokumentart: Dissertation
Erscheinungsdatum: 2021-02-01
Sprache: Deutsch
Fakultät: 4 Medizinische Fakultät
Fachbereich: Medizin
Gutachter: Synofzik, Matthis (Prof. Dr.)
Tag der mündl. Prüfung: 2020-12-03
DDC-Klassifikation: 570 - Biowissenschaften, Biologie
610 - Medizin, Gesundheit
Schlagworte: Bewegungswahrnehmung
Lizenz: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

Die Bewegungen des eigenen Körpers und seiner Extremitäten werden nicht nur über externe Signale, wie sie sensorische Organe (Auge, Propriozeption, Tastsinn) bereitstellen, wahrgenommen. Schon während der Handlungsplanung wird das sensorische Ergebnis einer Bewegung durch das Gehirn antizipiert und zur Bewegungswahrnehmung herangezogen. Dafür werden interne Vorhersagen genutzt, die auf dem motorischen Plan und der Handlungsabsicht einer Bewegung beruhen. Da interne Vorhersagen dem ZNS, im Gegensatz zu externen Signalen, ohne zeitliche Latenz oder Rauschen (durch das PNS oder Umwelteinflüsse) zur Verfügung stehen, erlauben sie eine optimierte Bewegungswahrnehmung und -kontrolle in Echtzeit. Zusätzlich ermöglichen sie es uns, selbst von fremd verursachten sensorischen Reizen zu unterscheiden, indem das Ausmaß an Übereinstimmung zwischen interner Vorhersage und der tatsächlichen sensorischen Konsequenz einer Bewegung miteinander verglichen werden. Sowohl der posteriore Parietalkortex als auch das Cerebellum sind wichtige Schnittstellen in der sensomotorischen Signalverarbeitung und somit mögliche neuroanatomische Korrelate der Erstellung, Nutzung und/oder Integration interner Vorhersagen in den Wahrnehmungsprozess. Um dies zu testen, untersuchten wir die Bewegungswahrnehmung von 11 Patienten mit Läsionen des posterioren Parietalkortex und 8 Patienten mit Läsionen des Cerebellums im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden im Rahmen eines Psychophysik-Experimentes in einem Virtual-Reality-Setup. Es wurde erfasst, wie präzise die Probanden die Richtungen ihrer Handbewegungen unter verschiedenen Bedingungen einschätzten, ohne diese direkt sehen und damit visuell kontrollieren zu können. In der Hauptphase des Experiments erhielten sie entweder (i) kein visuelles Feedback über ihre Zeigerichtung, (ii) korrektes visuelles Feedback oder (iii) verfälschtes visuelles Feedback. Zusätzlich wurde die Zielmotorik getestet, die Wahrnehmung passiver Handbewegungen und die Fähigkeit zur rein visuellen Wahrnehmung von Bewegungen. In einer Vorstudie mit 23 gesunden Probanden konnten wir unsere Hypothese bestätigen, dass aktive Handbewegungen ohne visuelles Feedback akkurater wahrgenommen werden als passive. Wir gehen davon aus, dass nur bei aktiven Bewegungen interne Vorhersagen, basierend auf Motorkommandos, erstellt werden und als zusätzliches, verlässliches Signal in die Bewegungswahrnehmung integriert werden. Für die beiden Patientengruppen stellten wir jeweils die Hypothese auf, dass ihre Bewegungswahrnehmung in Vergleich zu Gesunden verändert ist und dies auf einer defizitären Erstellung, Aufrechterhaltung oder Nutzung interner Vorhersagen beruhen kann. Beide Patientengruppen boten eine zu den gesunden Kontrollen gleichwertige Wahrnehmung passiver Bewegungen und rein visueller Repräsentationen von Bewegungen. Die Verarbeitung externer Signale (Sehen, Propriozeption) scheint daher bei parietalen und cerebellären Läsionen nicht per se beeinträchtigt zu sein und etwaige Veränderungen ihrer Wahrnehmungsleistung müssen auf der Ebene interner Vorhersagen oder deren Integration mit anderen Signalen erklärt werden. Die Patienten mit parietalen Läsionen nahmen ihre Bewegungen ohne visuelle Signale ebenso akkurat wahr wie die Kontrollgruppe, zeigten also auch kein Wahrnehmungsdefizit per se. Ebenso unbeeinträchtigt war ihre Zielmotorik. Sie verließen sich aber überproportional stark auf visuelles Feedback, selbst wenn dieses hochgradig verfälscht war. Die Patienten mit cerebellären Läsionen hatten demgegenüber tatsächlich ein Defizit in der Bewegungswahrnehmung (ohne Feedback) und auch in ihrer Zielmotorik. Visuelles Feedback nutzten sie aber nicht anders als Gesunde. Unsere Ergebnisse liefern gemäß unserer Hypothesen Hinweise darauf, dass das Cerebellum an der Bereitstellung oder gar Erstellung interner Vorhersagen beteiligt ist, da bei dieser Patientengruppe sowohl die Bewegungswahrnehmung als auch die Bewegungskontrolle (Zielmotorik) gestört war. Der Parietalkortex hingegen scheint an der Aufrechterhaltung oder Integration interner Vorhersagen für die Bewegungswahrnehmung beteiligt zu sein: Die parietalen Patienten konnten ihre eigentlich präzise Bewegungswahrnehmung nicht gegenüber verfälschtem visuellem Feedback über ihre Bewegungen aufrechterhalten.

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