Inhaltszusammenfassung:
Einleitung: Der riskante Konsum von Alkohol und Tabak besitzt aufgrund seiner hohen Prävalenz und dem erheblichen Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko eine große gesundheitspolitische und sozioökonomische Relevanz. Es besteht ein immenser Bedarf an Präventions- und Entwöhnungsmaßnahmen zur Reduktion der Folgeerkrankungen. Die heutzutage verfügbaren Entwöhnungsprogramme setzen häufig aktive Bemühungen der Konsumenten voraus und erreichen somit nur einen kleinen Teil der Bevölkerung. In der Tabakleitlinie wird empfohlen, dass bei jedem Arztkontakt in Hausarztpraxen und Krankenhäusern der Rauchstatus der Patienten erfasst wird. Rauchern soll anschließend ein Rauchstopp empfohlen und eine Kurzberatung hierzu angeboten werden. Die Effizienz dieser ärztlichen Kurzinterventionen ist vielfach nachgewiesen. Die vorliegende Studie untersucht den bisherigen Stand der Implementierung der in der Tabakleitlinie empfohlenen Kurzinterventionen zur Raucherentwöhnung in der Versorgungs- realität.
Methoden: Es wurde eine Gesundheitsbefragung bei Patienten im stationären klinischen Setting und in 30 Hausarztpraxen in Greifswald, Lübeck und Tübingen durchgeführt. Dabei wurden Daten von 8 841 Patienten im Alter von 18 bis 64 Jahren mithilfe von Fragebögen auf Tablets erfasst. Die Fragen umfassen die Bereiche Zigaretten- und Alkoholkonsum, Erhebungssetting, Soziodemografie und Gesundheitszustand und -verhalten. Raucher wurden gefragt, ob bei ihnen ärztliche Interventionen zur Raucherentwöhnung durchgeführt wurden.
Stichprobe: 17.4 % der Befragten gaben einen kombinierten riskanten Alkohol- und Tabakkonsum an, 18.5 % nur Tabakkonsum und 20.1 % nur riskanten Alkoholkonsum. Männer berichteten häufiger als Frauen von riskantem Alkohol- und Tabakkonsum und mit zunehmendem Alter lebten die Befragten häufiger abstinent. Raucher schätzten ihren Gesundheitszustand und ihr psychisches Wohlbefinden subjektiv schlechter ein als der Durchschnitt der Studienteil- nehmer, Personen mit riskantem Trinkverhalten hingegen besser. Bevölkerungs- gruppen mit höherem sozialen Status rauchten seltener, tranken aber häufiger
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riskant Alkohol. In den HNO-Kliniken wurde am häufigsten riskanter Alkohol- und Tabakkonsum erfasst und in Tübingen seltener als in Greifswald und Lübeck.
Ergebnisse: Laut Patientenangaben wurden 89.9 % der Raucher von ihrem Arzt nach dem Rauchverhalten gefragt, 50.8 % erhielten die Empfehlung, das Rauchen aufzugeben und 16.8 % eine ärztliche Kurzberatung zu einem Rauchstopp. Eine Regressionsanalyse ergab, dass die Häufigkeit von tabakbezogenen ärztlichen Interventionen durch schlechteren subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand, Nikotinkonsum seit vielen Jahren, frühes Rauchen der ersten Zigarette morgens und subjektiv keine traurige Stimmung oder Erschöpfung vorhergesagt wird. In Hausarztpraxen und HNO- Kliniken wurden die Interventionen nach Selbstauskunft der Raucher besonders häufig durchgeführt.
Diskussion: In Hausarztpraxen und Krankenhäusern können viele Patienten mit Tabakkonsum oder kombiniertem Alkohol- und Tabakkonsum erreicht werden. Die erfassten Prävalenzangaben stimmen weitgehend mit denen früherer Forschung in der Allgemeinbevölkerung überein. Allerdings zeigen die Ergebnisse deutlich, dass die in der Tabakleitlinie empfohlenen Interventionen noch nicht konsequent bei allen Patienten durchgeführt werden. Die fest- gestellten unterschiedlichen Konsummuster und unterschiedliche Häufigkeit der ärztlichen Interventionen bei verschiedenen Patientengruppen unterstreichen die Notwendigkeit eines systematischen Screenings und einer systematischen Beratung aller Raucher. Evidenzbasierte Schulungen von Ärzten dürften die Implementierung der T abakleitlinie voranbringen, jedoch ist auch eine Sicherstellung der Abrechnungsmöglichkeiten der entsprechenden ärztlichen Leistungen notwendig. Für die im Rahmen der P3-Studie entwickelte computer- und smartphonegestützte Intervention wäre nach der erfolgreichen Forschungs- phase ein dauerhafter praktischer Einsatz wünschenswert.