Inhaltszusammenfassung:
In den bisher vorliegenden klinischen Studien lag der Fokus für die Erfassung von Distress bei Krebspatienten im Wesentlichen auf einer spezifischen Tumorentität wie Brustkrebs, Hautkrebs etc., womit die Perspektive auf ein eng umschriebenes Spektrum in der Psychoonkologie beschränkt war. Ziel dieser Studie ist die Erfassung von Angst, Depressivität und Distress bei Patienten in strahlentherapeutischer Behandlung. Das Augenmerk liegt dabei auf der Erfassung aller behandelten Tumorentitäten, was den charakteristischen Aspekt der Arbeit darstellt.
Für diese Pilotstudie wurden 108 Patienten während ihrer Behandlung in der Universitätsklinik für Radioonkologie in Tübingen über verschiedene Screening-Instrumente mittels Fragebögen (DT-Fragebogen, HADS, PHQ-9, SF-12) hinsichtlich des vorhandenen psychoonkologischen Distress untersucht. Neben Häufigkeitsanalysen und Korrelationen einzelner Variablen wurden speziell die Prädiktoren für Angst, Depressivität und Distress während Strahlentherapie berechnet.
Die Angst korreliert dabei signifikant mit einem auffälligen generellen Distressempfinden. Die in dieser Arbeit betrachteten Patienten zeigten während Strahlentherapie zudem signifikant höhere psychische und körperliche Einschränkungen als die Normstichprobe bei Krebspatienten. Es ist erkennbar, dass neben der allgemein höheren psychischen und körperlichen Einschränkung bei Patienten das Angstempfinden und der Distress während strahlentherapeutischer Behandlung als höher beschrieben werden als in vergleichbaren Studien bei Krebspatienten ohne Strahlenbehandlung. Dies stellt den Behandlungspfeiler Strahlentherapie als möglicherweise belastender und einschränkender als andere Therapieoptionen für Krebspatienten dar.
Ein wesentliches Ergebnis dieser Arbeit betrifft die aktuelle Behandlungsintention. Zwar sind Patienten bei palliativer Behandlungsabsicht stärker von Angst belastet als jene in kurativer Behandlung, jedoch zeigen Patienten mit zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch unklarer Behandlungsabsicht oder einer noch unklaren Tumorausdehnung noch deutlich höhere Belastungen. Dies hat auch für die klinische Praxis besondere Relevanz. Gerade in der Phase der Krebsdiagnose und des Stagings sollte den Patienten bei noch unklarer krankheitsbedingter Therapieindikation besondere psychoonkologische Unterstützung angeboten werden.
Patienten der Tumorkategorien Verdauungstrakt und Mamma sind, im Gegensatz zu Patienten der Kategorie Lunge, während der Strahlenbehandlung am geringsten körperlich eingeschränkt. Patienten mit Malignom an Lunge und Pleura zählen in dieser Studie zu den Risikopatienten, bei denen sowohl Angst, Depressivität als auch genereller Distress erhöht sind und die gesundheitsbezogene Lebensqualität deutlich vermindert ist. Bei einer aktuell länger andauernden Behandlung ist der Distress geringer, wohingegen eine länger zurückliegende Erstdiagnose der Erkrankung bei Patienten zu höherem aktuellem Distress führt. Das Regressionsmodell aus Angst, körperlicher Einschränkung und Zeitdifferenz seit Erstdiagnose der Tumorerkrankung klärt in diesem Zusammenhang knapp ein Drittel des gesamten Distress der Patienten auf und lassen somit ein grundlegendes psychoonkologisches Risikoprofil während strahlentherapeutischer Behandlung entstehen.
Hinsichtlich der klinischen Relevanz sollte der Fokus daher auf Risikopatienten mit hohen Angstwerten im Screening, einer körperlichen Einschränkung, einer länger zurückliegenden Erstdiagnose der Erkrankung, insbesondere auch bei Lungenerkrankungen, liegen. Die weiteren Tumorentitäten dürfen dabei jedoch nicht außer Acht gelassen werden, da auch hier durchweg ein erhöhtes Distressempfinden vorliegt. Die psychoonkologische Diagnostik von Patienten im strahlentherapeutischen Bereich sollte unter Beachtung des beschriebenen psychoonkologischen Risikoprofils etabliert werden sowie wiederholt erfolgen, um Behandlungspfade zugunsten jedes einzelnen Patienten zielführend steuern zu können.