4.7 Applikationsversuche mit der eindimensionalen Verfahreinheit

4.7.1 Indol-3-essigsäure

Ob und wie Auxin bei Applikation in wässriger Lösung am Hypokotyl wirkt, musste zunächst überprüft werden. Die Aufnahmen mit dem OXALIS-System hatten bereits gezeigt, dass äußerlich appliziertes IES die Circumnutationen hemmt und eine Krümmungsreaktion auslösen kann. SANCHEZ-BRAVO et al. (1991) hatten jedoch beschrieben, dass nach Applikation von doppelt isotopenmarkiertem IES am Kortex von Lupinus albus die Radioaktivität unbeweglich in der Nähe der Applikationsstelle verweilte. Sie schlossen daraus, dass der polare Transport nicht im Kortex, sondern im Zentralzylinder erfolgen muss. Markiertes IES, das in die Stele appliziert wurde, wurde ähnlich rasch transportiert wie IES, das direkt auf dekapitierte Hypokotyle gegeben wurde. Ihre Hypothese war, dass der polare Auxintransport bei Lupinus albus im Zentralzylinder erfolgt und von hier aus entlang eines Gradienten, der möglicherweise durch die Metabolisierung des Auxins entsteht, in die äußeren Gewebe gelangt. Dort wirkt es wachstumsfördernd. Dass Auxin auch bei äußerlicher Applikation am Hypokotyl von Arabidopsis thaliana und Cardaminopsis arenosa basipetal transportiert wird, konnte an Hand von herablaufenden Krümmungen gezeigt werden. Auch die Beobachtung, dass die Keimlinge nach seitlicher Applikation von IES am oberen Hypokotyl einen Knick am unteren Ende des Hypokotyls ausbilden, spricht dafür. Arabidopsis- und Cardaminopsis- Hypokotyle sind wesentlich kleiner als die Hypokotyle von Lupinus albus. Es ist anzunehmen, dass IES bei äußerlicher Applikation an Arabidopsis und Cardaminopsis wesentlich rascher in die inneren Bereiche des Hypokotyls diffundieren kann als bei Lupinus. Ob IES in Arabidopsis- und Cardaminopsis- Hypokotylen ausschließlich im Zentralzylinder transportiert wird, wurde bislang nicht untersucht. Aber auch ein Transport kleiner Mengen von Auxin direkt in der Epidermis oder direkt darunter liegenden Zellschichten ist denkbar. Dieser wäre die Voraussetzung für Circumnutationsmodelle, die auf peripher herablaufenden Auxinströmen basieren.

Welche Rolle Indol-3-essigsäure bei der Transduktion von gravitropen und phototropen Reizen des Hypokotyls spielt und ob die Cholodny-Went-Theorie (CHOLODNY, 1926; WENT, 1926) zutrifft, ist weiterhin umstritten. Eine Übersicht zu den physiologischen Grundlagen von Streckungswachstum, Auxintransport, Perzeption und Transduktion von gravitropen Reizen gibt SCHUSTER (1996).

Wie bereit erwähnt, hatte SCHUSTER (1996) die gravitrope Reaktionszeit bei Hypokotylen von Cardaminopsis arenosa im schwachen Weißlicht bestimmt. Sie betrug 20,6 Minuten (Durchschnitt aus 12 Pflanzen). In diesem Zusammenhang schien es interessant, die Reaktion und Reaktionszeit von lokal am oberen Hypokotyl von Cardaminopsis arenosa appliziertem IES zu ermitteln. Es ergab sich ein Wachstumsschub nach 18,9 Minuten (Durchschnitt aus 7 Pflanzen, Abtastintervall eine Minute).

Die Statolithentheorie (BJÖRKMAN, 1988) beschreibt, dass gravitationsbedingt von Statolithen Kräfte auf Sensoren in speziellen Zellen (Statocyten) wirken. Bei höheren Pflanzen werden seit langem Amyloplasten als Statolithen diskutiert (HABERLANDT, 1902). Bei Wurzeln wurde beschrieben, dass es nur 12 bis 20 Sekunden dauert, bis sich die Amyloplasten absetzen (IVERSEN und LARSEN, 1973). Bei Gräsern setzen sich Statolithen in den Zellen der (falschen) Pulvini in weniger als zwei Minuten ab (SALISBURY und ROSS, 1992). Die gravitrope Reaktionszeit bei Cardaminopsis arenosa ist mit 20,6 Minuten nur knapp zwei Minuten länger als die Reaktionszeit nach Applikation von IES. Der Zeitunterschied könnte unter anderem durch die Dauer des Absinkens von Statolithen verursacht worden sein.

Die phototrope Reaktionszeit von Arabidopsis thaliana C24 entspricht mit etwa 24 Minuten ebenfalls der Reaktionszeit nach Applikation von IES. Die Vermutung liegt nahe, dass IES sowohl an der Transduktion der phototropen als auch der gravitropen Reaktionen beteiligt ist.

Applikation von ein bis zwei µl 5 µM IES-Lösung an Hypokotylen im Schwachlicht bewirkte neben einem Wachstumsschub meist ein Erlöschen von Circumnutationen. Vermutlich kommt das System in eine Sättigung, wenn hohe Dosen IES verabreicht werden. Einige Stunden nach Auxingabe setzen wieder Schwingungen ein. Zwischenzeitlich könnten die großen Auxinmengen aus der Schwingungszone abtransportiert worden sein. In einem Versuch wurde im Abstand von etwa 20 Minuten je ein µl 5 µM IES-Lösung appliziert. Die zweite Applikation bewirkte keine weitere Steigerung der Wachstumsgeschwindigkeit. Dies unterstützt die Vermutung, dass bereits die einmalige Gabe der IES-Lösung eine Sättigung bewirkt. Weitere Applikationsversuche mit unterschiedlichen Auxinkonzentrationen könnten diese Annahmen bestätigen.

Seitliche Applikation von IES bewirkte meist eine Krümmungsreaktion. Es kam jedoch auch vor, dass die Hypokotyle danach nur rascher wuchsen, ohne sich zu krümmen. Hier diffundierte möglicherweise so viel Auxin transversal, dass es sich auf den gesamten Hypokotylquerschnitt auswirkte.

Circumnutationen liefen während der Krümmungsreaktionen und Wachstumsschübe, die durch geringe Mengen von IES verursacht wurden, meist weiter. Hier könnte sich die Wirkung von äußerlich appliziertem Auxin mit der Wirkung von inneren Auxinströmen oder auch anderen Faktoren, die im Zusammenhang mit Circumnutationen stehen, überlagern.

Wurden niedrig konzentrierte IES-Lösungen appliziert, kam es gelegentlich zu einer kurzfristigen, reversiblen Krümmungsreaktion, die anscheinend nicht mit einem Wachstumsschub einher ging. Möglicherweise bewirkt IES hier keine irreversible Zellverlängerung. Stattdessen könnten sich die Zelllängen durch Turgoränderungen vorübergehend geändert haben.

Mit der dreidimensionalen Verfahreinheit sind weitere Aufnahmen zur Ausbreitungsgeschwindigkeit von Auxin-induzierten Krümmungen geplant. Zusätzlich sollte gemessen werden, in welche Richtung und wie rasch sich radioaktiv markiertes IES in den Hypokotylen ausbreitet. Ein Vergleich der Transportgeschwindigkeit von IES mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit der IES-induzierten Krümmung am selben Organismus könnte Hinweise auf die Mechanismen liefern, die den Circumnutationen zugrunde liegen. Wenn die Synchronisation von Zelllängenänderungen bei Circumnutationen durch herablaufende Auxinströme erfolgt, sollten beide Geschwindigkeiten übereinstimmen. Aber auch andere Arten der Informationsübertragung zwischen Nachbarzellen, beispielweise durch osmotische oder elektrische Phänomene (vgl. GRADMANN und BUSCHMANN, 1996) wären denkbar. Die Applikationsversuche von Pufferlösungen hatten gezeigt, dass verschiedene Ionen einen starken Einfluss auf die Circumnutationen haben können.

4.7.2 NPA

Nach JENSEN et al. (1998) wird das Wachstum von Arabidopsis thaliana Hypokotylen im Licht durch NPA kräftig gehemmt. Im Dunkeln wird die Elongation jedoch nicht beeinflusst. Die gravitrope Reaktion wird durch NPA jedoch unabhängig von den Lichtbedingungen unterbunden.

Bei Cardaminopsis arenosa wurde das Wachstum im mittleren Weißlicht (Photonenstrom 15 µmol m-2 s-1) schwach, im schwachen Weißlicht (1,75 µmol m-2 s-1) nicht gehemmt. Bei Arabidopsis thaliana wurde das Wachstum in manchen Fällen jedoch auch im Schwachlicht (1,75 µmol m-2 s-1) gehemmt. Hier scheint es Unterschiede zwischen beiden Arten zu geben. Bei Arabidopsis thaliana streuten die Ergebnisse stark. JENSEN et al. hatten NPA dem Nährmedium zugesetzt. Bei meinen Versuchen war die Substanz lokal am Hypokotyl appliziert worden. Möglicherweise variiert hier die Aufnahme von NPA durch die Kutikula und Epidermis von Individuum zu Individuum. Es konnten nur wenige Versuche durchgeführt werden. Weitere Untersuchungen zur Wirkung von lokal appliziertem NPA auf das Wachstum beider Arten sind geplant.

Circumnutationen wurden durch NPA ausgelöscht, sofern die Substanz in oder oberhalb der Schwingungszone appliziert wurde. Dies unterstreicht die These, dass Auxin an der Entstehung von Circumnutationen beteiligt ist. In einem Fall konnte beobachtet werden, dass die Circumnutation oberhalb der Applikationsstelle weiter ging, nachdem NPA im mittleren Bereich der Schwingungszonen gegeben wurde. Im Verlauf von etwa zwei Stunden beschränkten sich die Schwingungen auf immer weiter oben liegende Teile des Hypokotyls, um schließlich ganz aufzuhören. Dies könnte so interpretiert werden, dass sich allmählich immer mehr Auxin in den Zellen oberhalb der Applikationsstelle ansammelte, was zu einem Erlöschen der Schwingungen führte. Es handelt sich dabei jedoch um ein Einzelergebnis und weitere Versuche wären nötig. Eine Echtzeitauswertung würde erlauben, NPA gezielt im schwingenden Bereich des Hypokotyls zu applizieren.

Die Wirkung von lokal appliziertem NPA auf die phototrope Reaktion wurde bislang nicht untersucht. FUJITA und SYONO (1997) isolierten und charakterisierten die Arabidopsis-Mutante pis1. Sie reagiert mit einem weiten Spektrum von Effekten wie Wachstum von Hypokotyl und Wurzel, Wurzelgravitropismus und Wurzelphototropismus hypersensitiv auf NPA. Ein genetischer Faktor ist zuständig, der sowohl Gravitropismus als auch Phototropismus kontrolliert. Die Ergebnisse zeigen, dass der Auxintransport bei beiden Tropismen eine Rolle spielt. Wie erwartet, war bei meinen Versuchen die phototrope Reaktion von mit NPA vorbehandelten Arabidopsis-Keimlingen schwächer als die der unbehandelten Kontrollgruppe.

Im Zusammenhang mit den Untersuchungen zur Wirkung von NPA auf den Phototropismus wurde auch der zeitliche Verlauf der phototropen Reaktion untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich die Pflanzen in den ersten 2,5 Stunden nach Beginn eines seitlichen Blaulichtpulses immer stärker auf diese Lichtquelle ausrichteten. Danach folgte eine leichte Aufwärtsbewegung und anschließend eine neuerliche stärkere Ausrichtung auf das seitliche Blaulicht. Bei der Avena-Koleoptile ist bekannt, dass, abhängig von der Reizmenge, auf die erste positive phototrope Reaktion eine negative und danach weitere positive und negative Reaktionen folgen können.


Abbildung 4-3: Dosis-Effekt-Kurve des Phototropismus etiolierter Avena-Koleoptilen (schematische Darstellung). Die Lichtdosis (Weißlicht) wird in Luxsekunden angegeben; auf der Ordinate ist die positive, bzw. negative Krümmung aufgetragen. Die Reaktionsbereiche der ersten, zweiten und dritten positiven, sowie der negativen Krümmung sind in der Kurve vermerkt (nach SENGBUSCH, 2001).

Vermutlich herrschen bei Arabidopsis-Keimlingen ähnliche Verhältnisse. Hier kommt es jedoch zu keine negativen Krümmung sondern lediglich zu einem Rückgang und Wiederanstieg der Krümmung in Abhängigkeit von der Reizmenge oder Reizdauer.


Abbildung 4-4: Phototrope Reaktion von Arabidopsis-Hypokotylen auf einen vierstündigen seitlichen Blaulichtpuls (schematische Darstellung). Die Keimlinge krümmen sich anfangs immer stärker. Danach richteten sie sich allmählich wieder etwas auf. Schließlich folgte eine erneute Zunahme der Krümmung.


4.7.3 Cycloheximid

SCHUSTER (1996) hatte das circadiane Schwingungsverhalten von Cardaminopsis arenosa bereits untersucht. Er fand für das Auftreten von Schwingungsphasen eine durchschnittliche Periodenlänge von 26,2 Stunden. Die Standardabweichung betrug 1,9 Stunden. Für SCHUSTER war es schwierig, Wachstumsschübe als Zeiger der circadianen Rhythmik zu benutzen, da er mit seiner Apparatur immer nur einen oder wenige Keimlinge gleichzeitig registrieren konnte. Mit der eindimensionalen Verfahreinheit konnten jedoch - abhängig vom gewünschten Zeitabstand der scans - bis zu 25 Pflanzen gleichzeitig registriert werden.

KARAKASHIAN und SCHWEIGER (1976) fanden Hinweise auf eine Cycloheximid-sensitive Komponente im circadianen Oszillator der Grünalge Acetabularia. Der circadiane Rhythmus wird offensichtlich nicht von Transkription oder Translation der Chloroplasten und Mitochondrien beeinflusst, sondern von der Translation an cytoplasmatischen Ribosomen. WOLLNIK et al. (1989) fanden eine Phasenverschiebung der circadianen Uhr beim Hamster (Mesocricetus auratus) nach Injektionen von Cycloheximid. Stärke und Richtung der Phasenverschiebung hingen von der circadianen Zeit ab. Ihre Ergebnisse unterstützten ebenfalls die Hypothese, dass die 80S-ribosomale Proteinsynthese eine wichtige Rolle im biochemischen Mechanismus circadianer Systeme spielt. JOHNSON und NAKASHIMA (1990) beschrieben, dass die lichtinduzierten Phasenverschiebungen der circadianen Uhr beim Schimmelpilz Neurospora crassa durch Cycloheximid gehemmt wurde. Das war nicht der Fall bei Mutanten, deren Proteinsynthese gegen Cycloheximid resistent war. Wurden Licht und Cycloheximid gleichzeitig zu verschiedenen circadianen Phasen gegeben, bestimmte immer Cycloheximid die Phasenverschiebung.

Die Wirkung von Cycloheximid auf die circadiane Rhythmik des Hypokotylwachstums wurde bislang nicht untersucht. Da das tagesperiodische Wachstum bei Cardaminopsis länger anhält als bei Arabidopsis, wurden Versuche an Cardaminopsis durchgeführt.

Es ist bekannt, dass der Proteinsynthesehemmer Cycloheximid das Längenwachstum von Wurzeln hemmt (BASKIN und BIVENS, 1995). Auch eine hemmende Wirkung auf das Hypokotylwachstum wurde gefunden. CHO und HONG (1995) beobachteten bei mit IES behandelten Helianthus-Hypokotylsegmenten eine etwa fünffache Steigerung der Wachstumsrate und der H+-Exkretion innerhalb von zwei Stunden. Das Wachstum von Segmenten, die 60 Minuten zuvor mit IES behandelt worden waren und eine maximale IES-induzierte Elongationsrate aufwiesen, wurde nach kurzer Zeit (weniger als 10 Minuten) durch Cycloheximid gehemmt. Auch RNA-Synthesehemmer (Cordycepin), Calcium-Kanal Blocker (Verapamil), und Sekretionsinhibitoren (Monensin and Brefeldin A) reduzierten die Wachstumsrate deutlich.

Bei Cardaminopsis arenosa dauerte es durchschnittlich 30 bis 60 Minuten und in Einzelfällen sogar länger, bis die lokale Applikation von Cycloheximid am oberen Hypokotyl einen Wachstumsstop bewirkte. Die starke Streuung ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass es bei den einzelnen Keimlingen unterschiedlich lange dauerte, bis die Substanz den Wirkungsort erreichte. Cycloheximid wirkt vermutlich nur, wenn es die Zellen des oberen Hypokotyls, die sich gerade strecken, erreicht. Applikation am unteren, nicht mehr wachsenden Hypokotyl sowie an den Kotyledonen wirkte in der Regel nicht. Ob und wie die Substanz im Organismus verlagert wird, ist nicht bekannt. Die Dauer der CHX-Wirkung ist möglicherweise vom Applikationszeitpunkt abhängig. Hierzu müssten jedoch noch weitere Versuche durchgeführt werden.

Der Wachstumsstop nach Cycloheximidbehandlung (100 µM bis 1mM, 1-2 µl) bewirkte eine Phasenverschiebung des circadianen Wachstums. Die Daten lassen vermuten, dass die neue Phasenlage durch das Ende der CHX-Wirkung bestimmt wird. Möglicherweise wird die innere Uhr durch Cycloheximid angehalten oder zurückgesetzt und kommt erst mit dem Ende der CHX-Wirkung wieder in Gang.

Kleinere Mengen von lokal appliziertem Cycloheximid beeinflussten das Wachstum nicht erkennbar. Ob und wie die circadiane Rhythmik davon beeinflusst wird, wurde nicht untersucht. Bei längeren Registrierungen mit der eindimensionalen Verfahreinheit wuchsen die Pflanzen häufig aus den Bildern heraus. Durch Tiefersetzen der Pflanzen konnte der obere Bereich dann weiter registriert werden. Die Auswertung ist jedoch schwierig, da einzelne Versuchsteile manuell zusammengesetzt werden müssen. Die dreidimensionale Verfahreinheit wäre für solche Aufnahmen besser geeignet.


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